Forschungsprojekt OLDER
"Orale und literale Diskursfähigkeiten:
Erwerbsmechanismen und Ressourcen"
Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft
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Zusammenfassung der Forschungsergebnisse

Welche Rolle spielen mündliche Sprachfähigkeiten in der Ontogenese von Schreibkompe-tenzen? In welchem Maße und auf welche Art greifen Kinder in der Aneignung literaler Fä-higkeiten tatsächlich auf mündliche Ressourcen zurück? – Anhand der globalstrukturellen Kompetenz von Grundschulkindern, deren mündliche und schriftliche Entwicklung von der Einschulung bis zur dritten Klassenstufe längsschnittlich verfolgt wurde, konnten im Projekt OLDER erstmals rekonstruktiv-empirisch fundierte Antworten auf diese Fragen gefunden werden. Sie zeigen einerseits, dass der mündlichen Kompetenz eine zentrale Rolle im Auf-bau von Schreibfähigkeiten zuzuweisen ist und führen darüber hinaus vor Augen, mit wel-chen Erwerbsfunktionen (schulische) Prozesse der Aneignung schriftlicher Kompetenz bis in die einzelnen Schreibprozesse hinein in mündliche Interaktionen eingebettet sind und auf mündlich bereits Gekonntes aufbauen.

Als eine zentrale Heuristik der Untersuchung diente der Vergleich verschiedener Genres (Spielerklärung, Fantasie- und Erlebniserzählung) im Mündlichen und Schriftlichen. So konn-ten die unterschiedlichen Entwicklungsverläufe schriftlicher Genres auf die genrespezifi-schen Ausprägungen mündlicher Interaktionsmuster zurückgeführt werden: Im Mündlichen stark interaktiv geprägte Genres wie die (konversationelle) Erlebniserzählung und die Spiel-erklärung weisen ein niedrigeres Niveau globaler Kohärenz im Schriftlichen auf. Demgegen-über zeigen die Interaktionen mündlicher Fantasieerzählungen bereits eine stärkere Orientie-rung an der sprachlichen Form und ihrer Ausgestaltung durch den Erzähler/die Erzählerin. Entsprechend finden sich hier im Schriftlichen früher ausgebaute globale Strukturen.

Anhand der Entwicklungsverläufe einzelner Kinder konnte dieser allgemeine Befund bis auf die Ebene individueller Lösungsverfahren textstruktureller Anforderungen hinunter ver-folgt werden. Hier ließen sich systematisch unterschiedliche Verfahrensweisen in Art und Ausmaß der intuitiven Nutzung vorhandener mündlicher Strukturierungsfähigkeiten feststel-len. Im Vergleich mündlicher und schriftlicher Bewältigungsstrategien für vergleichbare glo-balstrukturelle Aufgaben fanden wir eine Übernahme und Reorganisation individueller münd-licher Erzählstrategien und Stilpräferenzen. Neben dem Neuaufbau schriftspezifischer Lö-sungsansätze stellt also die vorgängige Mündlichkeit eine grundlegende Ressource im Auf-bau von Schreibkompetenzen dar.

Mündlichkeit bildet jedoch nicht nur eine Ressource in Form vorgeprägter sprachlicher Lösungen und struktureller Kompetenzen. Sie spielt auch in der unterrichtlichen Aneignung von Schreibkompetenzen eine entscheidende Rolle. So konnte anhand von audiovisuellen Aufzeichnungen des Schreibunterrichts der Rückgriff auf genuin mündliche Interaktionsmus-ter in der gemeinsamen Bewältigung von Schreibaufgaben zwischen Kindern und Lehrper-sonen rekonstruiert werden. In global-struktureller Hinsicht bildet hier die Form mündlicher Erzählinteraktionen in der Schnittstelle zur Schreibaufgabe zugleich den Ausgangspunkt einer Entwicklung von stärker reflexiven Formen des Redens über den Text. Unterrichtliche Instruktionen als metakognitiv orientierte Hilfestellungen zur Textproduktion erweisen sich dagegen im Fortgang dieser Entwicklung erst dann als fruchtbar, wenn die Ausbildung einer global-strukturellen Kompetenz als Grundlage für einen reflexiven Zugang zum eigenen Schreiben bereits gegeben ist.

Die im Längsschnitt gefundenen Zusammenhänge zwischen mündlicher Diskursorganisation und Schreibentwicklung stellen einen zentralen Baustein für eine gemeinsame Modellierung mündlicher und schriftlicher Sprachfähigkeiten dar. Gleichzeitig bieten die Ergebnisse der mikroanalytischen Rekonstruktionen von Aneignungsmechanismen im Schreibprozess einen wertvollen Anknüpfungspunkt für die Anwendung innerhalb der Schreibdidaktik.

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