Kleines ABC:  Migration & Mehrsprachigkeit

 

Migrant (türk. göçmen)

Migranten sind Menschen, die selbst bzw. zusammen mit ihrer Familie eingewandert sind; genau genommen handelt es sich um eine Partizipform (-nt), die ausdrückt, dass der Wanderungsprozess noch nicht abgeschlossen ist. Das ist nicht unproblematisch, wie auch am Beispiel Asylant (im Vergleich mit dem besseren Ausdruck Asylbewerber) zu sehen ist. Immigranten sind 'Einadernde', Emigranten sind Menschen, die z.B. aus politischen Gründen auswandern. Man spricht auch von Menschen mit Migrationshintergrund, wenn sie oder ihre Familie eine Migrationsgeschichte haben (viele Verfolgte, Bedrohte haben zur NS-Zeit Deutschland verlassen, sind emigriert).
Wer beispielsweise aus der Türkei stammt, wird auch als türkeistämmig oder mit türkischen Wurzeln bezeichnet. Türkischstämmig ist als Begriff enger, da es in der Türkei viele Minderheiten gibt.
Immigranten sind eingewandert, Remigranten haben eine Migrationsgeschichte und sind in ihr Ausgangsland zurückgekehrt. Aussiedler haben ein Land verlassensind ein besonderer Fall, insofern sie häufig im Bewusstsein einwandern, eine kulturelle Identität des Deutsch-Seins zu besitzen, damit aber gerade in der Fremdwahrnehmung ein Problem bekommen.

Migranten machen die einschneidende Erfahrung, dass ihre Lebensform, ihre Sprache, ihr Wertsystem in der neuen Umgebung nicht mehr oder weniger funktional sind, ja in Frage gestellt werden. Es kann sein, dass ihre Sprache nicht mal als Fremdsprache in den Schulen ihrer Kinder zugelassen ist. Sie haben die schwierige Wahl zwischen (wenigstens partieller) Anpassung und Beharren auf Strukturen, die nunmehr kaum akzeptiert werden. Gleichwohl müssen sie ihren Alltag zwischen Migrantengemeinschaften und Umgebung bewältigen und ihren Kindern eine Zukunft geben. Die aus der Konstellation entstehenden Konflikte werden oft zwischen den Migrantengenerationen (Jüngere gegen Ältere) ausgetragen.

Einwanderer nehmen rasch die Gepflogenheiten des Aufnahmelands an, bekommen also ebenfalls weniger Kinder . Die Geburtenrate der Deutsch-Türkinnen liegt mittlerweile etwa bei 1,4 und ist damit nahe bei der Rate der Ureinwohner (vgl. Saunders 2012). Die "Überfremdungsängste" des rassistischen Diskurses haben keine Grundlage.

Migranten werden nicht selten als Problem für das Bildungssystem, die Gesellschaft wahrgenommen. Die aber muss sich fragen, was sie seit der Aufnahme an wirklich guten Angeboten zur Eingliederung gemacht hat, welchen Status die Erstsprache der Migranten hat, ob sich das Bildungssystem auf sie eingestellt hat (Untersuchungen wie PISA besagen das Gegenteil).

"Im Jahr 2010 lebten rund 31 % der minderjährigen, ledigen Kinder in Deutschland in einer Familie mit Migrationshintergrund. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) zum Weltkindertag am 20. September 2011 weiter mitteilt, stammte in Großstädten mit mehr als 500 000 Einwohnern sogar fast jedes zweite minderjährige Kind (46 %) aus einer Familie mit Migrationshintergrund. Das zeigen die Ergebnisse des Mikrozensus, der größten jährlichen Haushaltsbefragung in Europa." (Statistisches Bundesamt)

Migranten können allerdings - wie viele Beispiele zeigen - Erfolg in Schule, Ausbildung, Hochschule, Beruf haben. Zumal, wenn ihre Eltern Bildung (auch der Mädchen) faktisch und emotional fördern, sich Lehrer, Ausbilder, Professoren um sie kümmern - die Institutionen also nicht nur auslesen, sondern individuell und spezifisch fördern - vor allem die Sprache ist der Schlüssel. Entscheidend ist aber, dass sie selbst sich motivieren und auf dem Weg durch die Institutionen durchhalten können.

Allerdings: Eine OECD-Studie zeigt im Oktober 2009: Kinder von Migranten haben schlechtere Berufschancen als andere. Das gilt besonders auch für Hochqualifizierte. Schaut man auf den Namen in der Bewerbung? Weniger Qualifizierte haben nach der OECD-Studie eher Chancen, insofern sie familiäre Netze nutzen können (Job beim Onkel etc.).  Im öffentlichen Dienst sind nur drei Prozent der 20 bis 29-jährigen Migrantenkinder - sonst jeder zehnte. Quelle: OECD

Gunilla Fincke vom Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration stellte am 10.9.10 eine Studie über die wirtschaftliche Selbstständigkeit von Migranten vor. Danach ist der Anteil der Migrantenunternehmer groß. 12 Prozent der in Deutschland lebenden Menchen mit Migrationsgeschichte sind selbstständig, bei Herkunftsdeutschen sind es mit 14% wenig mehr. Bei Neugründungen liegen Menschen mit Migrationshintergrund sogar vorn.

"Migranten tragen als Unternehmensgründer einen deutlichen Beitrag zur deutschen Wirtschaft bei. Laut einer Studie im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung haben sie 2,2 Millionen Arbeitsplätze in Deutschland geschaffen. Insgesamt hätten rund eine dreiviertel Million Selbstständige ausländische Wurzeln. Damit habe jeder sechste Unternehmer in Deutschland mittlerweile einen Migrationshintergrund. Meist kommen die Gründer demnach aus Polen oder der Türkei." SPON

In Deutschland leben etwa 4 Millionen Muslime, nicht alle haben "Migrationshintergrund", 45% haben die deutsche Staatsangehörigkeit, 36% sehen sich als "streng religiös", 70% der Musliminnen tragen kein Kopftuch (Bundesamt für Migration 2009). > Islam

Migranten, in in der ersten Generation das Rentenalter erreicht haben, erhalten niedrigere Renten und sind durch Altersarmut gefährdet, hat die Böckler-Stiftung festgestellt, das gelte insbesondere für 54% der türkischen Gruppe, die Schnitt 742 Euro erhielten (vgl. Spiegel 37, 2014).

Hinweise zur Weiterarbeit:

focus-migration

N. Thoma/M. Knappik (Hg.) (201 Sprache und Bildung in Migrationsgesellschaften Machtkritische Perspektiven auf ein prekarisiertes Verhältnis. Bielefeld
U. Raiser (2007) Erfolgreiche Migranten im deutschen Bildungssystem. Münster: Waxmann
D. Saunders (2012) Mythos Überfremdung. München: Blessing

Studie "Nutzung der Mehrsprachigkeit von Menschen mit Migrationshintergrund – Berufsfelder mit besonderem Potenzial"

Audioarchiv Erzählte Migrationsgeschichte

Migranten als Gründer (SPON)

 

 

 

 

 

 

 

"Wann wird es selbstverständlich sein, dass jemand mit den gleichen Noten die gleichen Aussichten bei einer Bewerbung hat, egal ob er Yilmaz heißt oder Krause?" (Bundespräsident Christian Wulff, 2.7.2010)

 

 


Migrationshintergründe lt. Statist. Bundesamt (2005)