Kleines ABC:  Migration & Mehrsprachigkeit

 

▶ Aussiedler / Spätaussiedler

 

Unter Aussiedlern/ Spätaussiedlern versteht man Menschen deutscher Ethnie, die vor längerer Zeit (bes. im 18. Jahrhundert) ausgewandert waren. Sie gelten im Sinne des Grundgesetzes als Deutsche und konnten im Zuge einer generationenübergreifenden Remigration wieder eingebürgert werden. Seit 1988 kamen jährlich über 200.000 Aussiedler nach Deutschland, besonders aus Russland und Kasachstan, aber auch aus Polen und Rumänien. Wer nach dem 1.1.93 als Spätaussiedler in der Bundesrepublik Deutschland anerkannt werden wollte, musste in einem schriftlichen Aufnahmeverfahrens seine ethnische Zugehörigkeit nachweisen, seit 1997 musste ein mündlicher Test zeigen, ob die Sprachkenntniss im Deutschen ausreichten.
1991 betrug die Zahl der Aussiedler noch 221.995, 2006 nur noch 7747 (Bayerisches Staatsministerium fürArbeit und Sozialordnung (21.2.2008)).

Im Ausgangsland fehlte überwiegend eine überdachende Hochsprache, das Deutsch war dialektal geprägt, der Zugang zur Schriftlichkeit oft eingeschränkt. Die Deutschkenntnisse der aus der ehemaligen Sowjetunion Eingereisten waren in den Generationen sehr unterschiedlich: Die Ur-Großeltern und Großeltern hatten die besten, aber meist keine hochsprachlichen und schriftlichen Kenntnisse. Russisch wurde erst später und manchmal eingeschränkt erworben. Bei der Elterngeneration war die Kompetenz im Deutschen recht beschränkt, oft auf einfache Formen und Formeln; die Kenntnisse wurden, auch wenn Deutsch Erstsprache war, stark durch das Russische überlagert, während die Kinder kaum Deutsch konnten.
Es gab für die Gruppe in Deutschland Sprachkursangebote, oft in kompetenzinhomogenen Gruppen und ohne zureichendes Lernmaterial. Ausreichend waren die Kurse meist nicht, zumal der Kontakt zu Einheimischen schwierig war und die eigene Identität als problematisch erlebt wurde. Die Mitgliedszuweisungen waren vielfach ausgrenzend, Russisch wurde in Deutschland negativ bewertet, seine Sprecher oft als 'Russen' kategorisiert. Das Zurückgeworfensein auf die Eigengruppe führte wieder zu einem verstärktem Gebrauch des identitätsstiftenden oder doch Mitgliedschaft anzeigenden Russischen.

 

Literaturhinweise:
R. Baur u.a. (1999) Die unbekannten Deutschen. Ein Lese- und Arbeitsbuch zu Geschichte, Sprache und Integration rußlanddeutscher Aussiedler. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren
N. Berend (1998) Sprachliche Anpassung. Eine soziolinguistisch-dialektologische Untersuchung zum Rußlanddeutschen. Tübingen: Narr
K. Meng (2001) Russlanddeutsche Sprachbiographien. Tübingen: Narr
U. Reitemeier (2005) Aussiedler treffen auf Einheimische. Paradoxien der interaktiven Identitätsarbeit und Vorenthaltung der Marginalitätszuschreibung in Situationen zwischen Aussiedlern und Binnendeutschen. Tübingen: Narr

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aus: Meng (2001: 349)
Zeichen: BW1 Interviewerin, " markiert auffällige Betonung auf dem vorhergehenden Vokal, : eine Dehnung, * eine kurze, ** eine längere Pause unter 1 Sek., noch längere haben eine Zeitangabe,→ bezeichnet schwebende,↑steigende, ↓fallendeTonmuster. Töne auf Silben sind durch Akzente gekennzeichnet:
jă ist als fallend-steigend, já als steigend markiert.

Lernprobleme von Aussiedlern auf der Folie des Russischen (vgl. dazu Baur u.a. 1999: 120ff., 135ff.):

- Vokallänge, im Russ. kein [ɶ, ø:, ʏ, y:]; kein Glottisverschluss, kein [ɳ, ç, h, pf,], Plosive selten behaucht
- der bestimmte Artikel (fehlt im Russischen)
- Kasusflexion (z.T. verlangen russ. Verben anderen Kasus; es gibt im Russ. einen Instrumentalis und einen Präpositiv)
- das Adjektiv kann dem Nomen folgen
- Präpositionen und ihre Kasusrektion
- trennbare Verben
- Genus (im Russ. gibt es 3 Genera) und Plural der Substantive
- Satzklammer, Verbendstellung im Nebensatz