"Die Sprache um ein Wort ärmer machen heißt das Denken der Nation um einen Begriff ärmer machen." (Arthur Schopenhauer)

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Grund 1: Sprache ist das Medium zwischen Wissen und Wissen

 

Von 'Medien' ist oft die Rede. Meist sind nur Massenmedien gemeint. Oder die Träger von Nachrichten. Die natürliche Sprache ist das Supermedium schlechthin, das den Menschen alles ermöglicht. Vor allem ist sie der Weg, auf dem das Denken der Anderen zu uns kommt und unser Denken beeinflusst und vorantreibt. Träger sind Stimme, Schrift und Gebärde. Etwas übertrieben spricht man manchmal von 'Gesprochener Sprache', 'Geschriebener Sprache' und 'Gebärdensprache'. Aus dem Sprechen, so zeigt es Ferdinand de Saussure in seiner Skizze (s. oben), ensteht die Sprache. Die Sprache ermöglicht aber auch das Sprechen. Sprache ist zur Vermittlung ausgebildet zwischen Sprecher/in und Hörer/in, zwischen dem Wissen der beiden, und der Welt außerhalb.
Alles, was wir an Differenzierungen machen, kann in der Sprache ausgedrückt und nachvollziehbar gemacht werden. Und die Unterschiede, die wir sprachlich machen, können zurückwirken auf die Art, wie wir die Welt sehen - sprachliche Kategorien können uns leiten, sie legen uns aber nicht fest.
Zum Wissen, das wir durch Äußerungen und ihre Inhalte, ihren Aufbau und ihre Töne transportieren, gehören auch Wertungen und Gefühle, Vorgestelltes und Erfundenes.
Für den Sprachpsychologen Karl Bühler ist die Sprache ein "geformter Mittler", mit dem wir die Welt nicht nur begrifflich erfassen, sondern auch anschaulich zeigen können.
Mit ich, hier, jetzt, da, dort zeigen wir, ausgehend von unserer jeweiligen Sprecher-Position (Dort regnet es schon). Mit den Mitteln der Sprache handeln wir: fragen, bitten, behaupten; erzählen, beschreiben, argumentieren wir. Wer etwas äußert, nimmt sich selbst als Handelnder wahr und entwickelt eine Vorstellung davon, was er beim Gegenüber bewirkt. Durch Kommunikation entwickelt der Mensch ein Bewusstsein seiner selbst, ausgebildet am Anderen. Die außengerichtete Sprache erlaubt einen inneren Dialog als Denksprache. Wir können mit der Sprache über die Sprache selbst reden - eine Möglichkeit, die mit der Erfindung der Schrift stark ausgebaut wurde, aber nicht an sie gebunden ist.

"Wenn ich ein Wort benutze", sagte Humpty Dumpty ziemlich verächtlich, "dann hat es genau die Bedeutung, die ich wähle nicht mehr und nicht weniger." "Die Frage ist", sagte Alice, "ob man das machen kann, daß Wörter so viel Verschiedenes bedeuten." "Die Frage ist", sagte Humpty Dumpty, "wer das Sagen hat - das ist alles. " Alice war zu verwirrt, um etwas zu sagen ...
(Lewis Carroll, Alice im Wunderland)


Sprache prägt die wichtigsten Teile unseres Wissens und damit auch die Art und Weise, in der wir Neues aufnehmen. Wir können über das reden, was nicht da ist. Ich kann eine Person als Mann, Vater, Freund, Angestellter, Inder, Kunde, Jogger, Langeweiler, ... charakterisieren. Es bleibt derselbe Redegegenstand, die Sprache erlaubt mir aber, ihn nach Perspektive unterschiedlich einzuordnen und auch zu werten. Kinder kommen schon zur Sprache, indem sie lernen, die Dinge auch aus der Sicht Anderer zu sehen und diese Perspektive selbst wieder einzunehmen und auszudrücken. In der Wahl des Ausdrucks, mit dem der Sprecher sich auf etwas bezieht, richtet er sich nach dem Hörer: der Chef, der Hans, dein Freund, dieser schmierige Typ, der da, er. Er nimmt, was der Hörer nachvollziehen, was er selber sagen könnte. Sprechen ist immer Sprechen für den Anderen. Eine Name ist nur zu gebrauchen, wenn der Hörer den Träger und den Namen kennt. Über Dinge und Ereignisse sprechen wir mit symbolischen Ausdrücken, die mehr oder minder allgemein charakterisieren (Tier, Vogel, Raubvogel, Falke, Wanderfalke) und abgrenzen (Tier-Pflanze, Vogel-Fisch etc.). Mit Frau, Tür, Affe, Stadt sind Arten benannt, mit rot, schnell, ledig Eigenschaften, mit Milch, Gold, Stahl Stoffe, mit schreiben, wachsen, werden Handlungen oder Prozesse. Inhalte werden symbolisch ausgedrückt und können nur mit ausgeprägtem Sprachwissen verstanden werden.
Dass wir Hunger verspüren, hat nichts mit Sprache zu tun. Vielleicht können wir auch sprachlos zu Nahrung kommen (im Supermarkt reichen Gesten). Aber wie können wir ohne Sprache einen Termin vereinbaren oder uns auf ein Datum beziehen? Wir nutzen, was die Sprache uns anbietet. Sprachen enthalten die Begrifflichkeit, in der wir an gemeinsames Wissen anschließen und neue Erfahrungen ausdrücken. Wir nutzen und erweitern sie, wenn wir forschen. Das zu verstehen, ist sehr nützlich. Wörter und Begriffe können auch den Blick verstellen, falsche Fragen hindern am Fortschritt. Stellen wir uns vor, wie Mathematik oder Physik aussähen, wenn es die Sprache der Symbole (E=MC2 oder 3x3=y) nicht gäbe.
Oder denken wir an unsere Raumgebundenheit.Um etwas als besonders, unsere Normal-Erwartungen übertreffend, kennzeichnen, bedienen wir uns räumlicher Vorstellungen: wir sind hoch zufrieden; die Studentin ist hoch begabt; im Hochsommer entwickeln wir Hochgefühle, vor allem, wenn ein Hoch aufzieht; der Tenor kann hoch singen; wir haben eine hohe Meinung von einem Kunstwerk; das ist höhere Mathematik. Auch die Zeit stellen wir uns räumlich vor: in drei Minuten, nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Der Mensch scheint auch sprachlich ein raumgebundenes Wesen zu sein. Zeit ist ja abstrakt, nicht wahrnehmbar.
Die Sprache - ihre Sprecher - schaffen nicht einfach Neues aus dem Nichts. Sie bauen es in sprachlich gefasstes Wissen ein und bauen dies zugleich ständig um. Unser Wissen ist in Bewegung wie ein Fluss. Und das macht die Sprache. Sprache ist fortlaufende Tätigkeit der Sprecher, "Arbeit des Geistes".

"In der Erscheinung entwickelt sich die Sprache nur gesellschaftlich, und der Mensch versteht sich selbst nur, indem er die Verstehbarkeit seiner Worte an Andren versuchend geprüft hat." (Wilhelm von Humboldt in der berühmten Einleitung zum Kawi-Werk).

Was der Mensch erfährt, hält er symbolisch fest, schon in den alten Höhlenzeichnungen vor tausenden von Jahren. Die Schrift - die Erfindung der Menscheit schlechthin - stellt Sprache auf Dauer und begründet die im Vergleich zum Gedächtnis stabile Weitergabe von Kultur und Tradition, Religion und Buchführung, über Zeiten und Räume hinweg. Davon profitieren heute auch die Neuen Medien.

Die Leistungsfähigkeit der Sprache begründet sich in der Form durch ihre "doppelte Gliederung" (Martinét, v.d. Gabelentz). Ihr Aufbau bestimmt sich auf der ersten Ebene durch bedeutungsstragende Teile, die selbst etwas bedeuten (Wörter, Wortteile), während die Elemente der zweiten Gliederungsebene wie die langen Vokal [i:] oder ]u:] selbst nichts bedeuten, aber den Unterschied machen: etwa zwischen Ding und Ring (d-r) oder Maus und Laus (m-l). Laute, die solche Unterscheidungskraft haben, machen das Lautsystem einer Sprache aus.

1. Funktionstragende Einheiten sie lieb t Bach s Musik

2. Funktionsunterscheidende Laute z i: l i: p t b a x s m u: z i: k

Diese Gliederung erlaubt es der Sprache, einen so großen Vorrat an Wörtern und grammatischen Elementen aufzubauen (das Deutsche hat ewta 500 000 Wörter, Englisch noch mehr). Zugleich ist sie optimal für schwierigere Übermittlungsbedingungen, unter denen schon mal ein Laut nicht gehört werden kann.

Über die Sprache sind wir stets an unsere Geschichte angeschlossen, unsere Wörter transportieren sie. Woher kommt etwa das deutsche Verb sprechen, das englisch to speak? Sie sind über das Westgermanische bis zum Indoeuropäischen zurückzuverfolgen. Die indoeuropäische Sprachenfamilie ist hier abgebildet.

Hat das Deutsche überhaupt besondere Eigenschaften? Wie verhält es sich mit dem Deutschen im Vergleich zu anderen Sprachen? Mehr zum Deutschen gibt es hier.

Dass Sprachwissenschaft eine Grundlagendisziplin ist, hat im 20. Jahrhundert die Philosophie erkannt und eine Wende zur Sprache (linguistic turn) genommen. Manch unlösbare Frage wird gestellt, die unsinnig ist, weil sie die Grenzen der Sprache - nach Wittgenstein die "Grenzen meiner Welt" - nicht beachtet. Für den Sprachphilosophen Michael Dummett ist die Philosophie der Sprache "die Grundlage der ganzen übrigen Philosophie, weil sich Gedanken nur mit Hilfe einer Analyse der Sprache analysieren lassen." Ernst Tugendhat bezeichnet die sprachanalytische Methode als die "einzige genuin philosophische." Darin folgt er dem bedeutendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts, Ludwig Wittgenstein, der in seinem "Tractatus logico-philosophicus erklärt hatte: "Alle Philosophie ist Sprachkritik." (4.0031) Und in den "Philosophischen Untersuchungen" die Idee aufnimmt, dass "das Sprechen der Sprache Teil ist einer Tätigkeit, oder einer Lebensform."

D. Everett (2013) Die größte Erfindung der Menschheit. Was mich meine Jahre am Amazonas über das Wesen der Sprache glehrt haben. München: DVA

L. Hoffmann Der Mensch und seine Sprache (Unizet 08.05 S.4) (pdf) (kurzer Überblick)

L. Hoffmann Reflexionen über die Sprache (pdf) (Theorien im 2o. Jahrhundert im Überblick: de Saussure, Bühler, Chomsky - Bezüge zu Humboldt)

L. Hoffmann/K. Leimbrink/U. Quasthoff (Hg.(2011) Die Matrix der menschlichen Entwicklung. Berlin/Boston: de Gruyter

J. Trabant (2009) Sprache. München: Beck

L. Hoffmann (2009) Sprache. In: E. Bohlken/C. Thies (Hg.) Handbuch Anthropologie. Stuttgart/Weimar: Metzler, 426-430



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