Kleines ABC:  Migration & Mehrsprachigkeit

 

Fehler

Fehler sind Abweichungen von dem, was andere Menschen erwarten (lateinisch error 'Umherschweifen, Irrfahrt, Irrgang' (n. Georges)). Das können auch sprachliche Fehler sein, die - weil von Muttersprachlern nicht zu erwarten - eher negativ bewertet werden; tatsächlich zeigt alltägliche Rede, mittlerweile auch Schreibe, gar nicht so selten Fehler auf verschiedenen Ebenen.
In der Mündlichkeit sehen wir darüber normalerweise hinweg, solange wir verstehen können und der Beitrag des Anderen kooperativ ist. Gerade weil Kommunikation auf Verständigung und Zusammenarbeit angelegt ist, waltet eine Toleranzprinzip. Daher ist es schon beinahe eine Konfliktstrategie, den  Partner auf mündliche Fehler hinzuweisen (Das würde ich so und so aussprechen, sicher meintest du x, nicht y...).

Schriftlich haben wir andere Erwartungen, weil wir schreibend mehr Planungszeit haben und die Norm strenger ist. Rechtschreibfehler kommen heute aber öfter vor - zumal jetzt in der Übergangszeit einer Rechtschreibreform, aber auch in Teilen der Presse, die eine Endkorrektur abgeschafft zu haben scheint. Manche Textformen, die nahe am Gespräch sind, wie der Chat haben offenbar großzügigere Standards. Beim Chat kommt es auf das Tempo des Tippens an. Auch Emails sind weniger sorgfältig verfasst als Briefe.

Im Spracherwerb sind Fehler normal. Sie werden manchmal in Kauf genommen, weil es auf die aktuelle Verständigung ankommt, bei Nachdenken hätten sie möglicherweise vermieden werden können. Das können Fehler sein, die man früher mal gemacht hat, aber die inzwischen eigentlich überwunden waren: Rückfälle gibt es im Erwerbsprozess schon einmal. Aber auch Fehler, die man in der Überzeugung macht, dass alles richtig ist.
Wer nicht bereit ist, Fehler zu machen, wird eine Sprache nicht lernen. Erwachsene zeigen da leicht Hemmungen, Kinder sind im Vorteil. Ältere Lerner wählen manchmal Strategien der Vermeidung. Sie beschränken sich auf das, was sie schon können, statt mal etwas zu probieren oder zu riskieren. Im Unterricht kann ja, was sie sagen oder schreiben, auch gegen sie verwendet werden.
Manchmal gehen im Zweitspracherwerb Fehler auf eine Übertragung (Transfer) von Ausdrücken, Aussprache oder Wortfolge der Muttersprache zurück. Besonders anfällig ist die Aussprache. In anderen Bereichen (Abfolge) ist Transfer manchmal schwer zu entdecken, weil eine erstsprachliche Version zwar im Wissen zugrunde liegt, aber an der Oberfläche nicht mehr deutlich sichtbar ist.
Oft ist schwer zu entscheiden, wo genau der Fehler liegt. Bei dem Satz: Peter will mit sie reden kann die Kasusforderung von mit (Dativ) oder die Bildung des Dativs von sie das Problem sein.

Als faux amis / false friends / falsche Freunde bezeichnet man den fehlerträchtigen Fall, dass ein Ausdruckspaar aus zwei Sprachen sich formal sehr ähnelt, aber doch unterschiedlich verwendet wird bzw. eine größere Bedeutungsdifferenz hat: Das sind Fälle wie engl. become gegenüber dt. bekommen oder engl. actually ('tatsächlich', 'wirklich', 'eigentlich') gegenüber dt. aktuell, span. presidio ('Gefängnis') gegenüber dt. Präsidium. Ein solcher Fehler kann vorliegen, wenn jemand mit englischer Erstsprache äußert Ich finde dies einen sensiblen Vorschlag (engl. sensible 'vernünftig'); das gibt es entsprechend auch umgekehrt.
"Thank you and your delicious wife for your warm welcome, the perfect organisation of this trip" (Frankreichs Präsident Macron zum australischen Premierminister, Mai 2018, der die Gattin des Premierminsters wohl nicht verspeisen wollte) Vgl. französ. délicieux, eng. delightful vs. delicious.

Auffällige Fehler von fortgeschrittenen Zweit- oder Fremdsprachlern, die kommunikative Effekte haben können, nennt man auch Xenismen. Fehler mit Indikatorfunktion werden auch als Schibboleth bezeichnet.

Versprecher sind unbeabsichtigte Fehler, die auf der Sprachverarbeitung beruhen. Beispielsweise kann ein späterer Silbenanfang, Silbenkern oder Auslaut, ein Artikulationsmerkmal vorweggenommen werden (Mistörium statt Mysterium - Lippenrundung; Tötsünden - Vokalharmonie/ vordere Vokale), es können Wörter vertauscht (Sie hat Auge im Sand), falsch gewählt werden etc. Sigmund Freuds "Fehlleistungen" bezogen sich auf tiefer liegende psychische Mechanismen, die jemanden etwas sagen lassen, was er eigentlich (gerade) nicht sagen wollte.

Im Englischen wird manchmal subtil unterschieden zwischen dem Fehler, der systematisch, auf Basis der Kompetenz gemacht wird (error) und dem Fehler, der aus Flüchtigkeit, mangelnder Sorgfalt, Versehen passiert (mistake). Ein Rechenfehler auf der Rechnung wird wohl mistake sein, sonst wäre das ein größeres Problem und man könnte an Betrug denken.

Literaturhinweise:
Hans Jürgen Heringer (2000) Fehlerlexikon Deutsch als Fremdsprache. Berlin: Cornelsen
Helen Leuninger (1993( Reden ist Schweigen, Silber ist Gold Gesammelte Versprecher. Zürich: Ammann

 

 

 

 

 

 

Schreiben in der zweiten Sprache