Als eine Parallelgesellschaft wird
(öffentlich seit 2004, aber schon vor 2000 in der soziologischen
Literatur) die Kultur einer Minderheit bezeichnet, die sich 'neben' und
'parallel zu' der Kultur der Mehrheit entwickelt hat. Diese Mehrheitskultur
wird als einheitlich unterstellt.
Wie Sprachen in Dialekte zerfallen auch Kulturen in Subkulturen (Subkultur
der Fußballfans, Heavy-Metal-Anhänger usw.) Diese Subkulturen weichen
nur in einigen Handlungsformen und Werten sowie sprachlichen Formen (Wortschatz)
ab. Die Einheitlichkeit des Ganzen wird nicht als bedroht gesehen.
Es handelt sich bei Subkulturen wie Parallelgesellschaften nicht um eigene
Gesellschaften. Das Wort Gesellschaft bezeichnet eine menschliche Gemeinschaft,
die einen Raum teilt (ahd. sal ‚Raum‘), bestimmte Zwecke gemeinsam
verfolgt, Normen, Werte und Institutionen ausbildet (z.B. Institutionen des
Rechts) und eine gemeinsame Geschichte und Tradition hat. Der öffentliche,
politische Bereich wurde seit Hobbes und Locke als Staat gefasst, dem der private,
zivile Sektor der Bürger gegenübersteht.
Es wird mit der Parallelität eine getrennte Entwicklung, ein separater
Status von als gleichwertig betrachteten Gruppierungen angenommen. Wiewohl
Parallelen sich im Unendlichen treffen, aber wer hat so viel Zeit?
Das Gegenstück zu den parallelen Gruppen ist
die mächtige Mehrheitsgesellschaft, deren Einfluss offenbar begrenzt ist.
Genau hier lässt sich der Ausdruck Leitkultur verankern.
Der BGH hat in letzter Instanz zwei baptistischen Familien das Sorgerecht
für ihre Kinder entzogen, die ihre Kinder aus moralischen Erwägungen
von der Grundschule fern halten wollten.
„In der Sache hat der Bundesgerichtshof die – auf Ausführungen
des Bundesverfassungsgerichts gestützte - Auffassung der Vorinstanzen bestätigt,
dass der Besuch der staatlichen Grundschule dem legitimen Ziel der Durchsetzung
des staatlichen Erziehungsauftrags diene. Die Allgemeinheit habe ein berechtigtes
Interesse daran, der Entstehung von religiös oder weltanschaulich geprägten "Parallelgesellschaften" entgegenzuwirken
und Minderheiten auf diesem Gebiet zu integrieren. Integration setze dabei auch
voraus, dass religiöse oder weltanschauliche Minderheiten sich nicht selbst
abgrenzten und sich einem Dialog mit Andersdenkenden und –gläubigen
nicht verschlössen. Dies im Sinne gelebter Toleranz einzuüben und zu
praktizieren sei eine wichtige Aufgabe der Grundschule.“ [http://www.bundesgerichtshof.de/
Pressemitteilung) des BGH 17.11.2007]
Im Zuge der Sarrazin-Debatte
sind Politiker zur Verwendung des Ausdrucks Integrationsverweigerer übergegangen.
Behauptet wurde, dass dazu etwa 15% der Migranten gehörten. Allerdings
existieren dazu keine belastbaren statistischen Zahlen. Klar ist nur,
dass es eine Gruppe älterer Migranten der ersten Generation gibt,
die - geholt für einfache Arbeiten - Deutsch nicht gut gelernt
haben, oft dazu auch am Arbeitsplatz oder durch Kontakte keine Chance
hatten.
Begrifflich soll
damit den Migranten eine Bringschuld an Leistungen für
die Integration zugewiesen werden, sie erscheinen als Menschen, die sich
aktiv den Integrationsbemühungen der Gesellschaft entziehen. Verdeckt
wird damit, dass viele Menschen keinen Platz in Integrationskursen bekommen,
das Bildungsssystem über 30 Jahr nicht auf Migrantenkinder eingestellt
war und es externe Diskriminierung großer Migrantengruppen gibt,
die der Integration nicht förderlich sind.
Literatur:
W. Schiffauer (2008) Parallelgesellschaften: Wie viel Wertekonsens
braucht unsere Gesellschaft? Für eine kluge Politik der Differenz.
Bielefeld: Transcript
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