Rassismus? Kulturelle Diskriminierung? Medienhype um gestrige Thesen? Latente Verstärkung von Vorurteilen?
Angeblich spricht Thilo Sarrazin "Wahrheiten" aus, zeigt "Mut". Welche Wahrheiten, sagt die Presse aber nicht, wieso das Mut erfordert, auch nicht. Wieso sucht man angesichts an schreckliche Zeiten erinnernder Argumentationsweisen noch nach Körnchen Wahrheit? Was kann man alles schreiben, bis man disqualifiziert ist? In der Wissenschaft z.B. geht das sehr schnell. Die Presse saugt Honig auch aus Vorurteilen - nun führen wir eine härte Integrationsdiskussion etc. heißt es. Vergleichen Sie die Argumentation von Thilo Sarrazin mit einschlägigen
Texten der letzten 120 Jahre, mit Galtons "Eugenik", mit
Max Webers Überfremdungsängsten angesichts "slawischer" Migranten.
Sarrazins Thesen finden Sie z.B. im ZEIT-Interview. Oder
im Spiegel-Vorabdruck. Tagesschau.de hat
wichtige Gegenargumente zu den gesellschaftspolitischenThesen Sarrazins,
so weit über die überhaupt zu diskutieren ist, zusammengestellt.
Ohne den Medienhype im Blätterwald müsste man über die
kruden Thesen von Sarrazin nicht diskutieren, so aber kommen sie bei
Teilen der Bevölkerung an und können Vorurteile bestätigen
oder verstärken. Ein guter Beitrag zu
Genetik und Intelligenz ist der von Diethard Tautz in der taz vom 17.3.2012. Erinnern wir uns: Schon 2009 hatte Sarrazin in einem Interview mit Lettre
International (3/2009) gesagt: Drohende Überfremdung – das ist ein altes Angstmotiv in rassistischen Diskursen, auch bei Sarrazin. Tatsächlich zeigt die Wissenschaft, dass Einwanderer rasch die Gepflogenheiten des Aufnahmelands annehmen, also etwa weniger Kinder bekommen. Die Geburtenrate der Deutsch-Türkinnen liegt etwa bei 1,4 und ist damit nahe bei der Rate der Ureinwohner (vgl. Saunders 2012). Was steckt hinter dem Medienhype ... wenn doch klar ist, dass
Sarrazin unwissenschaftlich argumentiert? Update 2014: neues Buch, nichts Neues von Sarrazin – meinen taz und der Migrationsforscher Klaus Bade in migazin. Zur deutschen Diskussion: Literatur: Klaus J. Bade (2013) Kritik und Gewalt: Sarrazin-Debatte, "Islamkritik" und Terror in der Einwanderungsgesellschaft. Schwalbach: Wochenschau-Verlag Patrick Bahners (2011) Die Panikmacher. Die deutsche Angst vor
dem Islam. Eine Streitschrift. München: Beck Lesenswert zu
Sarrazins Daten sind die Ergebnisse der Berliner Politologin Naika
Foroutan, die ein Forschungsprojekt über "Hybride europäisch-muslimische
Identitätsmodelle" leitet. > Lesenswert zur Debatte auch der Kommentar der Soziologin Naika Foroutan in der Berliner Zeitung und Naika Foroutan: Wer ist wir? Wie mich die Sarrazin-Debatte zur Verteidigung der Muslime zwang. Zur
Islamdebatte der Journalist Straub (ZEIT) und Bahners,
Die Panikmacher (FAZ-Auszug) - rezensiert in der FAZ von
Th. Sarrazin. |
Kommentar
Wovon soll die Migrationsdebatte 2010ff., die eine Islamdebatte geworden ist, ablenken?
Von den Versäumnissen aus 30 Jahren Integrationspolitik? Dass seit Jahren mehr (und gut Ausgebildete) abwandern als zuwandern? Dass es in Integrationskursen viel zu wenig Plätze, aber hohe Nachfrage gibt? Dass Diskriminierte nicht nur stumme Opfer sind, sondern manchmal auch zurückschlagen?
Davon, dass für Bildung kein Geld bereit steht und die Unis und Schulen weiter verkommen?
Hartz IV-Problematik? Gruppen mit Schwierigkeiten gegeneinander ausspielen?
Davon, dass niemand klären kann, was "deutsche Kultur" - jenseits regionaler Subkulturen - sein könnte? Allenfalls das Grundgesetz könnte leiten, dann aber gäbe es die gegenwärtige Konfrontation nicht.
Für eine journalistische Ethik
Die Medien bezeichnen sich gern als "vierte Gewalt". Wenn sie
das sein wollen, müssten sie eine Verantwortung der Gesellschaft und
den menschen gegenüber wahrnehmen.
Sie dürften keine Diskussionen anzetteln, um Politikern Gelegenheit
zu geben, Stammtischparolen auszugeben - auf Kosten von Minderheiten. Sie
dürften nicht diskriminieren, schon gar nicht eine Weltreligion. Sie
könnten sich nicht länger auf ministeriale Verlautbarungen oder
gar die Parteizentralen oder Konzern-PR stützen. Sie müssten
sich wieder gut informieren, auch wissenschaftliche Texte können nicht
schaden, richtig recherchieren, statt aus dem Netz abzuschreiben...
Aber: darf der Journalismus das? Gibt es (noch) eine journalistische
Ethik? Wo melden sich die zu Wort, die eine solche Ethik vertreten?
Zur Islamdebatte der Journalist Straub und Bahners, Die Panikmacher (FAZ-Auszug)