Kleines ABC:  Migration & Mehrsprachigkeit

  

Ethnie, Ethnozentrismus, Ethnopluralismus, Ethnophaulismen

 

Ethnie (aus dem Griechischen: éthnos 'Volk, Volksgruppe, Menschengruppe') gehört wie Nation zu den schweren Wörtern. Das Konzept 'Volk', vor allem auch 'völkisch' ist hierzulande nationalsozialistisch aufgeladen als Gemeinschaft der Abstammung, als 'Schicksalsgemeinschaft'. Somit spricht man zumindest wissenschaftlich nicht mehr vom Volk. Die Ethnie sollte gegenüber dem durch die moderne Genetik unhaltbar gewordenen Rassekonzept einerseits, der juristisch definierten Staatsbürgerschaft andererseits eine Kategorisierung einer Gemeinschaft liefern (Deutsche, Albaner, Chinesen ...) und eine andere Dimension ins Spiel bringen: die einer durch geteilte Kultur und Geschichte, oft auch Sprache und Land verbundenen Gruppe, die sich gegen andere abgrenzt. In önnen verschiedene Ethnien leben.
Ethnien werden in der Ethnologie als dynamische Entitäten gesehen und zum einen als feste Gruppen, denen man von vornherein zugewiesen wird, konzipiert, öfter aber auch  als sozial durch Mitglieder konstruierte, wobei die konstruktive Zuschreibung die Abgrenzung zu anderen Gruppen herstellt. Mit der Ethnie kann ein entsprechendes Selbstbild mit einem spezifischen Image einhergehen, die Gruppe kann von außen "stereotypisiert" werden (der Chinese lächelt), Kollektive, soziale Konflikte, Sprachunterschiede können ethnisiert werden. In einem Land, das alle Bewohner rechtlich gleichstellt und Rassismus bekämpft, können ethnische Kategorie zur Ausgrenzung dienen.

Grundsätzlich besteht also für den Ausdruck Ethnie bzw. den Begriff weiter großer Klärungsbedarf .

"Ethnozentrismus" (Sumner) meint die schwer vermeidbare, durch die Binnenperspektive erzeugte, oft verzerrende, wertende Sicht auf andere ethnische Gruppen. Ein radikaler "kultureller Relativismus", eine immer wieder einzunehmende kritische Perspektive, ein durchgreifendes Toleranzprinzip werden als Gegenmittel empfohlen.

Die Ethnologie bzw. (in Deutschland traditionell:) Völkerkunde als Disziplin beschreibt Kultur, Sitten und Gebräuche, Sprachformen etc., die eine ethnische Gruppe ausmachen. In den USA spricht man öfter auch von Anthropology, die insbes. die Cultural Anthropology einschließt.

Die Rede vom Ethnopluralismus könnte neutral sein, aber sie findet sich bei den Neuen Rechten seit den 70er Jahren, wohl zuerst bei H. Eichberg, angelehnt an Konzepte der französischen Rechten. Gemessen an der wörtlichen Bedeutung handelt es sich um eine semantische Konversion, die die ursprüngliche Neutralität weiter vorspiegelt. Es verbindet sich mit der Bindung an ein Territorium (im Nationalsozialismus: "Blut und Boden"). Bekämpft wird ein Nebeneinander in sich homogener, von eineinander strikt abgegrenzter Ethnien / Kulturen, die in einem Land / an einem Ort zeitgleich existieren. Ersetzt wird damit die heute kaum offen vertretbare Rede von einer Trennung oder Vermeidung einer "Vermischung" von Angehörigen verschiedener "Rassen". Bekämpft wird nicht nur jede Form von Multikulturalismus oder Transkulturalismus/- nationalismus, abgelehnt wird jede Art der Migration in ethno-kulturell andere Regionen. Die genuine Wortbedeutung allerdings ist 'Vielfalt der Völker'. Das Konzept lebt auch davon, dass der Begriff der Ethnie schillernd verwendet wird.

Ethnophaulismen (griech. phaúlos 'gering, 'minderwertig, 'ungebildet', 'dem Pöbel zugehörig') sind abwertende Fremd-Bezeichnungen für eine Gruppe, etwa wenn (Nord-) Deutsche in Österreich als Piefke oder in Bayern als Saupreißn bezeichnet werden, im englischen Sprachraum werden Deutsche negativ als Krauts oder huns, in den Niederlanden als Moffen bezeichnet; Polen werden in Deutschland als Polacken beschimpft, Italiener als Itaker oder Spagettifresser, Roma und Sinti als Zigeuner (spanisch und portugies. cingaro, französ. Zigane, türk. çingene), (englischsprachige) Ausländer in Lateinamerika als Gringos. Eine Liste findet sich in Wikipedia. Es handelt sich um Manifestationen von Vorurteilen, die oft als Teil ideologischen Wissens zu rekonstruieren sind.
Mitunter sind sie in Erzählungen eingebettet, wie im Fall des Piefke die vom preußischen Militärmusiker Johann Gottfried Piefke, der den "Königgrätzer Marsch" komponierte und bei der Schlacht von Düppel 1864 (Krieg deutscher Bund gegen Dänemark) die Truppen mit dem Degen dirigierend vorangetrieben haben soll... Im FAZ-Net konnte man lesen: "Von Piefke ist überliefert, dass er in Wien auf die Frage nach seiner Anschrift geantwortet habe: „Mein Juter, schreib'n Se janz einfach ,Piefke, Europa‘. Det kommt an!“ [16.6.08]
Neue Vorurteile über Hiphopper
Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit in Nordrhein-Westfalen
Deutsches Institut für Menschenrechte


Literaturhinweise:
C. Antweiler (2007) Was ist den Menschen gemeinsam? Darmstadt: WBG
C. Geertz (1987) Dichte Beschreibung. Frankfurt: Suhrkamp
N. Barley (1991) Traumatische Tropen. Stuttgart: Klett-Cotta
D. Haller (2005) dtv-Atlas Ethnologie. München: dtv
C. Hallpike (1990) Die Grundlagen primitiven Denkens. München: dtv
K. Lenk (o.J.) Rechtsextreme "Argumentationsmuster" [27.4.2008]
B. Malinowski (1975) Eine wissenschaftliche Theorie der Kultur. Frankfurt: Suhrkamp
W. Schiffauer (1997) Fremde in der Stadt. Frankfurt: Suhrkamp [Ethnographie, bez. auf Migranten, Stadtkultur, Islamismus etc.]
P. Winch (1975) Was heißt "eine primitive Gesellschaft verstehen?" In: R. Wiggershaus (Hg.) Sprachanalyse und Soziologie. Frankfurt: Suhrkamp, 295-326.