Kleines ABC:  Migration & Mehrsprachigkeit

 



Auch wenn ein Berg sehr hoch ist, gibt es einen Weg nach oben. (Afghanisches Sprichwort)


          Persisch: Fārsī / Darī (Fārsī-yi Darī)

        زبان فارسی

 

Farsi/Dari sind gegenwärtig von neuer Relevanz, da viele Flüchtlinge aus Afghanistan in Deutschland sind; früher waren es im Iran vom Schah, dann von der nachfolgenden islamischen Regierung Verfolgte.
40-50 Prozent der Bevölkerung Afghanistans sprechen allerdings als Erstsprache Pashto. Diese Sprache hat sich aber nicht als Verwaltungssprache durchgesetzt, sie hat zweitklassigen Status. Weitere Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Paschai und Nuristani. Als Vermittlungssprache (lingua franca) gilt Farsi/Dari.

Von den Persern sprechen wir etwa ab 700 v. Chr., als sie ein mächtiges Reich errichteten, das im 5. Jh. v. Chr. unter Dareios von Kleinasien bis zum Indus, von Mazedonien bis Ägypten reichte. Es kam zu zahlreichen Kriegen mit den Griechen, die ihren kleinasiatischen Herrschaftsbereich sichern wollten. Das Perserreich hatte eine hohe Kultur, hier entwickelte sich die Religion von Zarathustra im 6. Jh. vor Christus die es immer noch gibt; in diese Zeit fallen auch die ältesten Schriftzeugnisse (Keilschrift, später aramäisches Zeichensystem).
Modernes Persisch erscheint als Farsi ('aus der Provinz Fars'), gesprochen im Iran, und Dari (Kabuler Dialekt, mit einigen Besonderheiten im Wortschatz gegenüber Farsi), gesprochen in Afghanistan.
Farsi wird von 38 Mill. Menschen gesprochen, fast ein Drittel sind Zweitsprachler; der Iran ist vielsprachig. Dari sprechen etwa 6 Millionen in Afghanistan, 2 Mill Zweitsprachler, 1,5 Mill. in Pakistan. Persisch ist Amtssprache im Iran und in Tadschikistan, man spricht es auch in Usbekistan, Kirgisien und Turkmenistan; Dari ist – neben Pashto – Amtssprache in Afghanistan.
Persisch entwickelte sich im Mittelalter zu einer einflussreichen Sprache von Poesie, Kunst und Wissenschaft im östlichen Bereich des Islam. Es hatte großen Einfluss auf Nachbarsprachen wie das osmanischeTürkisch. Auch das Deutsche kennt einige Lehnwörter wie Basar, Karawane, Pistazie, Paradies, Schal, natürlich Schach und Schach matt ('Der Herrscher/König ist gestorben'). Weltbekannt wurden Autoren wie Rumi, ʿOmar Chayyām, Hafis, Dschami oder Ferdousi, man denke an Goethes Rezeption im "west-östlichen Divan" – Mitschöpferin seiner Dichtung war Marianne von Willemer (1784-1860), die seine Vorstellung der Suleika prägte.

Persisch gehört zur indo-iranischen Gruppe der indoeuropäischen Sprachfamilie. Verwandt ist das Tadschikische.

Westiranische Gruppe: Farsi, Dari, Kurdisch, Beludschisch
Ostiranische Gruppe: Ossetisch, Pamirsprachen, Pashto (ausgestorbenene: Avestisch, Sarmatisch)

Ausdrücke des Neu-Persischen zeigen die Verwandtschaft: pedar, mādar, barādar; nam; man, to – Deutsch: Vater, Mutter, Bruder; Name; mich; du.

Persisch wird mit 32 arabischen Zeichen und vier eigenen Zeichen geschrieben. Semitische Sprachen haben eigentlich eine Konsonantenschrift (konsonantische Wurzel, variierende Vokale).
Im Persischen werden die langen Vokale (ā, ī, ū) geschrieben, die kurzen a, e, o nicht. So kann die Folge d+h als dah ('zehn') oder deh 'Dorf gelesen werden und man muss den Kontext heranziehen. Die Schriftzeichen unterscheiden sich nach Alleinstellung, End-, Mittel- und Anfangsposition.


Ruprecht - Karls - Universität Heidelberg Seminar für Sprachen und Kulturen des Vorderen Orients
Die Umschrift (Transkription) des arabisch - persischen Alphabets (DMG = Deutsche Morgenländische Gesellschaft)

[Audio: youtube

Innerhalb der indoeuropäischen Sprachen hat sich Persisch recht eigenständig entwickelt, durchaus entfernt vom ursprünglich stark synthetischen Bau (vgl. Futur: chāham chard 'ich werde tun). Das ist vergleichbar der Entwicklung des Englischen im westgermanischen Rahmen.

Es gibt größere Unterschiede zwischen (in Teheran, in den Nachrichten etc.) gesprochenem und geschriebenem Standard.

Persisch ist – von der Abfolge im Satz her – eine Subjekt-(Adverb)-Objekt-Verb-Sprache. Das finite Verb wird am Satzende realisert. Satzinitiale Positionen sind thematisch, so kann es zur Inversion kommen. Pronominale Formen können entfallen ("Pro-Drop"). Fragewörter müssen nicht Anfangsposition haben.

Zur Gewichtung bzw. Kontrastierung kann eine Wortgruppe (vor allem ein Adverbial) postverbal, im Nachfeld, realisiert werden. Möglich ist auch eine Lonksanbindung (Linksherausstellung), etwa eines direkten Objekts im Akkusativ.

Nominalflexion: die vier Kasus/Kasusentsprechungen des Farsi:

Nominativ
unmarkiert
 
Genitiv= Ezafe
-e
nām-e pedar '(der) Name (des) Vaters'
Dativ / Richtung
Präpositionen: be- (an, in, nach, zu'), az- ('aus, von'), barāye- ('für')

be-tehrān 'nach Teheran'
be-man 'mir', barāye-man 'für mich'

Akkusativ
Postposition: -rā
sib-  'den Apfel'
man-  'mich'
Präpositionen und Postposition können separat stehen oder zusammengeschrieben werden.

Das Nomen hat weder Genus, noch ist es von einem Artikel begleitet. Es gibt aber Determination, z.B. definite Determination durch eine Deixis: īn ketāb 'dieses Buch'. Ist ein Gegenstand unbestimmt, aber spezifisch, wird das Suffix -i an das Nomen gehängt: ketāb-i 'ein Buch'. Das Akkusativobjekt ist stets betimmt. Es gibt keine Form eines unbestimmten Akkusativobjekts. In der gesprochenen Sprache kann -ra (-ro, -o) weggelassen werden.

Der Nominativ ist der unmarkierte, merkmallose Fall, etwa für das Subjekt; dem Genitiv entspricht die Ezafe-Konstruktion, d. h.eigentlich gibt es keinen Genitiv]. Dativ und Richtungsangaben werden mit dem Präfix be- gekennzeichnet. Der Akkusativ erhält ein suffigiertes -rā: Ausgedrückt wird ein spezifisches, definites Akkusativobjekt: Man ketāb-rā chāndam 'Ich das Buch las.'

In einer Nominalgruppe steht der Kopf, das Kopf-Nomen, links, die Integrate (Attribute etc.) folgen (angebunden durch Ezafe (-e/-ye).

Der Plural wird durch die Suffixe -hā, -ān (seltener, gehobener Stil) markiert. Nach den Stammvokalen ā und u wird der Bindekonsonant -j- eingeschoben:

sib '(der) Apfel', sib-hā '(die) Äpfel';
mard-hā
oder mard-ān '(die) Männer';
gedā '(der) Bettler', gedā-j-ān '(die) Bettler)

Charakteristisch für das Persische ist die "Ezafe-Konstruktion", die eine attributive Verbindung zwischen Kopfnomen und attributivem Nomen, Adjektiv/Partizip oder Possessivum schafft; die Konstruktion wird markiert durch eine unbetont offenes -e (nach Vokal: je), das zwischen die Einheiten tritt:

ketāb-e bozorg '(das) Buch groß'

ketāb-e pedar '(das) Buch (des) Vaters'

ketāb-e man 'Buch mein'

Eine rekursive Anwendung ist möglich:

ketāb-e nou-e man 'Buch neu mein'.

Das Adjektiv wird also nachgestellt und nicht flektiert (vgl. Arabisch):

Singular: ketāb-e        chub
                  
'Buch-EZA gut'
Plural: ketāb-hāje                                        chub
              'Buch-Plural-Bindekonsonant-EZA gut'

Die Grenzen zwischen Nomen und Adjektiv sind – ähnlich wie im Arabischen – nicht scharf.

Personaldeixeis
Sprecher man ('ich')
Sprechergruppe   ('wir')
Hörer to ('du')
Hörergruppe şomā    ('ihr')

Die Sprecherdeixis ('Personalpronomen 1. Person) kann – wenn der Sprecher nicht besonders fokussiert werden soll etc. – weggelassen werden. Farsi ist eine 'Pro-Drop-Sprache', ein Subjektausdruck mit 'pronominalem Charakter' muss nicht versprachlicht werden, anders als im Deutschen.

Objektdeixis:
Zeigt man auf Nicht-Personen, sagt man: in (Nähe) bzw. ān (Ferne).

Anapher, Genus: Es gibt kein Genus (wie noch im Altiranischen mit drei Genera), d.h. die Form u bedeutet 'er, sie, es (Person)'; Plural: işān ('sie').

Subjektnomen sind endungslos, das indirekte Objekt hat die Präposition be, das direkte die nachgestellte Partikel .

Einen Artikel gibt es nicht (zan '(die) Frau'), aber natürlich Determination. Unbestimmtheit und Spezifität wird durch nachgestelltes -i markiert: sib-i  'irgendein bestimmter (dir unbekannter) Apfel'. Definit sind Formen als solche: Deiktika, Eigennamen, Zahlausdrücke, Superlative und topikalisierte Objekte mit rā; unabhängige Personalformen gelten stets als topisch.

Es gibt im Farsi Präpositionen, vgl.: az šahr 'aus der Stadt'; az 'aus'; die Präposition be bedeutet 'zu, nach, an' (direktiv), kann aber auch den Dativ markieren. Die nachgestellte Partikel (Postposition?) -rā kennzeichnet den Akkusativ (impliziert nicht Definitheit, die Form ist auch mit dem -i der Unbestimmtheit kombinierbar.

Nebensätze, die zeitlich, logisch Vorangehendes (Grund, Ursache) ausdrücken, gehen dem Hauptsatz voraus; erklären sie, bringen sie einen zeitliche Folge zum Ausdruck oder eine potentielle Konsequenz, sind es Subjekt- oder Objektsätze folgen sie auf den Hauptsatz.

Alle Nebensätze erscheinen wie Relativsätze; der universelle Konnektor ist unakzentuiertes ke. Es gibt kein flektiertes Relativum, sondern ke ist ein Resumptivum (wie süddt. wo). Es kann nicht am Anfang eines komplexen Satzes stehen. Bei restiuktiven Relativsätzen enthält der Bezugsausdruck ein nicht betonbares deiktisches -i (film-i ke did-im 'der Film, den ich sah'), außer bei Personalformen oder Eigennamen, wenn nicht der Name als unbestimmt gekennzeichnet werden soll (hasan-i 'ein Hassan, der ...').

Mard-e      ǧawān-i    ke    āmad         dust-e         man   bud.
Mann-EZA  jung-DEIX  KON  komm-Prät   Freund-EZA   mein sein-Prät

Der Relativsatz kann auch im Nachfeld, nach dem Hauptsatz, erscheinen (wie im Deutschen: Ich habe das Schiff wieder gesehen, das damals die schwarze Flagge gesetzt hatte).

Adverbiale Nebensätze werden auch mit ke (kombiert mit einem den Typ kennzeichnenden Ausdruck) konstruiert.

"Xoršid ke bar-āmad hame rafte budand." (Alavi/Lorenz 2003: 206)

Farsi hat Aspekt: Unvollendetheit markiert der Imperfektiv,der durch die Präfixe mi-, be- gekennzeichnet wird. Vollendung, Punktuelles, Resultat markiert der Aorist. Und es hat, vergleichbar der türkischen miš-Form, einen Indirektiv, der in das evidentielle System gehört und etwas als erschlossen, vom Hörensagen – und nicht unbedingt vergangen – kennzeichnet. Das Tempussystem ist wie das des Türkischen insgesamt komplex.

Für die Tempusbildung nutzt man jeweils den Präsens- und den Präteritumsstamm. Im Präsens wird durch das Durativ-Präfix -mi gekennzeichnet, dass das Ereignis gegenwärtig, wiederholt oder permanent passiert. Das Verb kardan bedeutet 'machen'.

Bildung der Präsensform:

mi-kon-am
Präfix-Präsensstamm-Personalendung 1 Sg

Präsens:

Sprecher mi-kon-am 'ich mache'
Hörer mi-kon-i 'du machst'
Besprochen mi-kon-ad 'er macht'
     
Sprechergruppe mi-kon-im 'wir machen'
Hörergruppe mi-kon-id 'ihr macht'
Besprochene mi-kon-and 'sie machen'


Endet der Stamm vokalisch, wird der Bindekonsonant -j- eingeschoben: mi-gu-j-am 'ich sage'.

Das DurativPräfix -mi kann auch vor dem Präteritumsstamm erscheinen:

Sprecher mi-xord-am 'ich aß immer wieder'
Hörer mi-xord-i  'du aßest immer wieder'
Besprochen mi-xor-d   'er aß immer wieder'
     
Sprechergruppe mi-xord-im 'wir aßen immer wieder'
Hörergruppe mi-xord-id ' 'ihr aßet immer wieder
Besprochene mi-xord-and  'sie aßen immer wieder'

Das Perfekt wird durch Partizip Präteritum und Kopulaverb gebildet:

gerefte-am ich habe genommen'.

Das Passiv wird mit dem Hilfsverb şodan gebildet:

dide şodan         'gesehen werden',
dide mişawam
    'ich werde gesehen',
dide şod-am
     'ich wurde gesehen'.

Das Präfix be- kennzeichnet den Imperativ: b-xar! 'Kauf!

Die  Kopulaverben erscheinen in Langform und in enklitischer Kurzform:

Singular (hast-)am, (hast-)i, (h-)ast
Plural     (hast-)im, (hast-)id, (hast-)and

Zur Negation wird das Präfix na- vorangestellt: na-mi-xar-im 'wir kaufen  im Moment nicht'.


Literatur zur Sprache:

*B. Alavi/M. Lorenz (2003⁵) Langenscheidts Praktisches Lehrbuch Persisch. Berlin: Langenscheidt

A. Asbaghi (2007) Großes Wörterbuch Persisch-Deutsch. Hamburg: Buske

B. Comrie (1987) The World's Major Languages. Oxford: University Press

H. F. Junker/B. Alavi (2002⁹) Persisch-Deutsch Wörterbuch. Wiesbaden: Harrassowitz

Langenscheidt Redaktion (2016) Praktisches Wörterbuch Persisch. Berlin: Langenscheidt

J. Mace (2002) Persian Grammar For Reference and Revision. London: Routledge

*S. Mahootian (2006²) Persian. New York: Routledge (Descriptive Grammars)

M.-R. Majidi (1990) Strukturelle Grammatik des Neupersischen (Fārsi). Band 2, Morphologie : Morphonologie, grammatische und lexikalische Wortbildung, Abriss der Syntax. Hamburg: Buske

M.-R. Majidi (2000) Laut- und Schriftsystem des Neupersischen. Hamburg: Buske

Wikipedia, Persische Sprache

Wörterbuch Deutsch - Persisch (Farsi)


Länder, Kulturelles, Poetisches:

J. Ahmad (2015²) Der Weg des Falken. München: dtv [Afghanistan]

Muhyiddin Ibn Arabi (2006) Der verborgene Schatz: Des grössten Meisters mystische Philosophie der Einheit aller Existenz. Xanten: Chalice

Muhyiddin Ibn Arabi (2009) Abhandlung über die Liebe: Aus den Mekkanischen Eröffnungen. Xanten: Chalice

Farid ud-Din Attar (2013) Die Konferenz der Vögel. Wiesbaden: Marix Verlag

M. Axworthy (2011) Iran. Weltreich des Geistes. Von Zoroaster bis heute. Berlin: Wagenbach

F. Bezad/J. Chr. Bürgel/G. Herrmann (Hg.)(1978) Moderne Erzähler derf Welt. Iran. Tübingen: Erdmann Verlag

M. Gronke (2016) Geschichte Irans: Von der Islamisierung bis zur Gegenwart. München: Beck

Fattaneh Haj Seyed Javadi (2002) Der Morgen der Trunkenheit. Frankfurt: Suhrkamp

D. Rumi (2008) Von allem und vom Einen. Zürich: Diederichs

Mohammad Schemsed-Din Hafis Hafis (2013) Der Diwan: Eine Auswahl der schönsten Gedichte. Wiesbaden: Marix Verlag

A. Schimmel (2014) Sufismus: Eine Einführung in die islamische Mystik. München: Beck

R. Willemsen (20o7) Afghanische Reise. Frankfurt Fischer Taschenbuch

R. Willemsen (2015) Es war einmal oder nicht: Afghanische Kinder und ihre Welt. Frankfurt: Fischer Taschenbuch