Kleines ABC:  Migration & Mehrsprachigkeit

     

▶ Transkulturelle, transnationale Gesellschaft

 

Mit Ausdrücken wie Integration ist ein Prozess beschrieben, noch nicht der erwünschte Zustand. Wir müssen uns schlicht von der Vorstellung verabschieden, eine komplexe Gesellschaft könne homogen sein.
Eine transkulturelle Gesellschaft ist eine offene, auf ständigen kommunikativen Austausch und Teilhabe aller angelegte Gesellschaft, in der das anerkannte Ziel ist, dass alle Zugang zu Arbeit, Recht, Gesundheit, Bildung haben. Hier ist über die zentralen Grundsätze des Zusammenlebens im Dialog ein Konsens hergestellt, in dem man sich über grundlegende Normen und Standards (z.B. Rechte der Frau, Minderheitenrechte, Körperliche Unversehrtheit) nicht streiten muss, einfach weil sie gelten.

In einer solchen Gesellschaft kann also nicht generell staatliches Recht durch anderes, etwa religiöses, überlagert werden. Beispielsweise islamisches Recht (die Scharia), wie das der Erzbischof von Canterbury Rowan im Februar 2008 gefordert hat, da in England für Juden auch die rabbinische Scheidung staatlich gelte. In bestimmten Bereichen wie Familien- oder Erbrecht wird bei Migranten auch in Deutschland die Scharia angewendet, natürlich im Rahmen der Grundrechte.

Diese offene Gesellschaft ist transkulturell, insofern sie nicht nur einer Kultur, auch nicht der Mehrheitskultur, verpflichtet ist. Sie gehört allen. Alle wirken mit, verbessern sie, arbeiten gemeinsam am Zugang zu den Institutionen. Die Vorsilbe trans- bedeutet 'übergreifend, alle einschließend', kein inter- ('zwischen'), das die 'Kulturen' separiert und in ein (schwieriges) Austauschverhältnis setzt, also Aushandeln und Konflikt schon zentral stellt.
Ein Traum - angesichts der gegenwärtigen Benachteiligung bestimmter Gruppen im Bildungswesen, der geringen Aufstiegsmöglichkeiten, der Entwicklungen in der medizinischen Versorgung - oder eine demokratische Verpflichtung?

 


Aus einer stern-Forsa Umfrage (9/2008):

- Der Frage "Leben Türken gern in Deutschland?" stimmen
78% der "Deutschen" und 79% der befragten "Türken" zu.

- Der Frage "Sollten sich Türken als Teil von Deutschland führen?" stimmen 76% der "Deutschen" und 81% der "Türken" zu.

- "Gibt es Probleme zwischen Deutschen und Türken?": 52% der "Deutschen", aber nur 22 % der "Türken" stimmen zu.

- "Müssen Türken Demokratie und Recht anerkennen?": 96% der "Deutschen", 87 % der "Türken" stimmen zu.


Literaturhinweise

S. Mau (2007) Transnationale Vergesellschaftung. Die Entgrenzung sozialer Lebenswelten. Frankfurt: Campus
L. Pries (2007) Die Transnationalisierung der sozialen Welt. Sozialräume jenseits von Nationalgesellschaften. Frankfurt: Suhrkamp
H. Sezgin (Hg.)(2011) Manifest der Vielen: Deutschland erfindet sich neu. Berlin: Blumenbar

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