Die Sprache galt und gilt als das Charakteristikum des Menschen schlechthin.
Komplexer Werkzeuggebrauch, differenzierte soziale Organisation, die
Fähigkeit, sich in Andere zu versetzen, finden sich bei manchen
Tierarten mehr oder minder ausgeprägt auch. Wirklich verständigen
können wir uns aber weder mit Hunden noch mit Menschenaffen, auch
wenn wir sie mit lautlichen oder gestischen Signalen zu spezifischen
Aktivitäten veranlassen können. Verständigen heißt:
Gedanken, Normen, Maßstäbe, Praxiswissen, sprachlich-kommunikatives,
reflexives Wissen in der Weise verankern, dass wir beständig darauf
explizit oder implizit zurückgreifen und unsere Handlungskoordination
und Planung daran orientieren können.
Sprachliches Verständnis resultiert aus Teilhabe, aus geteilter
Erfahrung der Praxis reziproken Handelns, das sich wiederkehrend bewährt,
seine Zwecke erreicht.
Sprachliche Verständigung macht Anderen das eigene Denken, Wissen
und Handeln mit seinen Möglichkeiten der Begründung zugänglich.
Sprache ist am menschlichen Verarbeiten der Realität elementar beteiligt,
erlaubt die Reflexion der Welt und bildet damit eine Schranke, die andere
Lebewesen nicht überschreiten können. So wie Menschen der Zugang
zu anderen Kommunikationssystemen und ihren Effekten nur über externe
Beobachtung und Rückschluss auf die Praxis möglich ist.
So kann man auch Wittgensteins Diktum aus den „Philosophischen
Untersuchungen“ verstehen:
„Wenn ein Löwe sprechen könnte, wir könnten ihn
nicht verstehen.“ (Wittgenstein 2001:1078)
Eine linguistische Anthropologie charakterisiert den Menschen als Sprachwesen,
das Mangel an Instinkt und physischer Stärke kompensiert und das Überleben
durch intelligentes Problemlösen, Erfahrungsweitergabe und kommunikative
Organisation sichert. Die Menschheit ist genetisch vergleichsweise homogen
- verglichen etwa mit den Schimpansen -, wie Genetiker (z.B. die Leipziger
Gruppe am Max-Planck-Institut um Pääbo) herausfanden. Die Versuchung,
eine einheitliche, genetisch verankerte Sprachfähigkeit zu postulieren,
ist groß, die Evidenz - sieht man von FoxP2 ab - begrenzt. Bemerkenswert
ist die Sprachenvielfalt gerade in kleinen Regionen der Erde, bemerkenswert
ist auch hohe Neuroplastizität des Menschen.
Betrachtet man die Welt der Sprachen, so sieht man bei jeder Sprache
ein Spektrum zweckgebundener Varietäten: regionale und areale Varietäten
wie die Dialekte und Umgangsvarietäten des Alltags, soziale und
Altersvarietäten wie Lernervarietäten, die Jugendvarietät,
Fach- und Sondervarietäten, die Varietät der Wissenschaft und
andere. All diese Varietäten werden unzulässig oft auch Sprache
genannt (Fachsprache etc.).
Ist eine Sprache wie Deutsch dann die Menge aller Varietäten? Gehören
dazu fremdsprachliche Elemente, konservierte Namen aus anderen Sprachen
und Mischsprachen? Oder ist diese Sprache eher, was alle Varietäten
gemeinsam haben? Ist es die überdachende Hochsprache, der Standard,
den alle Sprecher mehr oder minder dialektal beeinflusst sprechen und
verstehen können?
Zur Frage: „Was ist Sprache?“ vgl. auch meinen Reader „Sprachwissenschaft“ (2010/3),
der klassische Texte versammelt und ein Weiterlesen gestattet.
B. Comrie (Hg.) (1987) The World's Major Languages, London: Routledge
H.Haarmann (2002/2) Kleines Lexikon der Sprachen. München: Beck
K. Ehlich (2007) Sprache und sprachliches Handeln. Bd.1-3. Berlin/New
York: de Gruyter
L.
Hoffmann (2005) Universalgrammatik. In: OBST 69 Paradigms lost, 101-131.
preprint
L. Hoffmann (2005) Reflexionen über die Sprache: de Saussure, Bühler,
Chomsky. In: Kulturwissenschaftliches Institut (Hg.)(2005) Jahrbuch 2004.
Bielefeld: transcript, 79-111. preprint
L.
Hoffmann (2007) Der Mensch und seine Sprache - eine anthropologische
Skizze. In: A. Redder (Hg.) (2007) Diskurse und Texte. Festschrift für
Konrad Ehlich zum 65. Geburtstag. Tübingen: Stauffenburg, 21-37
L. Hoffmann (2009) Sprache. In: E. Bohlken/C. Thies (Hg.) Handbuch Anthropologie.
Stuttgart/Weimar: Metzler, 426-430
L. Hoffmann (2011) Kommunikative Welten - das Potenzial menschlicher
Sprache. In: Hoffmann, L./Leimbrink, K./Quasthoff,
U.(Hg.) (2011) Die Matrix der menschlichen Entwicklung. Berlin/Boston:
de Gruyter, 165-210 preprint
M. Krifka et al. (Hg.)(2014) Das mehrsprachige Klassenzimmer.
Über die Muttersprachen unserer Schüler. Heidelberg: Springer VS
[einfach gehaltene Sprachenporträts, zumeist aus generativer Sicht]
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Bibliographien