Kleines ABC:  Migration & Mehrsprachigkeit

  

▶ Code-Switching, Sprachenwechsel

 

Unter Code-Switching, Sprachenwechsel versteht man dies: Mehrsprachige wechseln manchmal mitten im Gespräch, sogar mitten in einer Äußerung die Sprache: vom Türkischen ins Deutsche, vom Englischen zum Französischen, vom Guaraiì zum Spanischen. Weniger auffällig sind Wechsel zwischen Dialekt und Hochsprache, zwischen Wissenschaftssprache und Umgangssprache.
Solche Wechsel setzen nicht nur entsprechende Kompetenzen in denselben Sprachen voraus, sondern auch, dass die Situation nicht durch die Beteiligten, die Institution etc. als monolingual definiert ist. Im "bilingualen Modus" (Grosjean) ist eine Sprache der Ausgangspunkt und bleibt dominant, die andere ist aber gleichzeit aktiviert und kann jederzeit gewählt werden. Sprachwissenschaftler gehen davon aus, dass solches Wechseln nicht willkürlich erfolgt, sondern durch die Situation des Gesprächs, die emotionale Beteiligung, den Gesprächsgegenstand, die Notwendigkeit, die eigene Identität auszudrücken, etc. bedingt ist. Es kann beispielsweise sein, dass Türkisch die Erst- und Familiensprache ist, Deutsch aber die Sprache in Institutionen wie der Schule. So dass für Begriffe aus der Schule ('Direktor', 'Zeugniskonferenz' ...) auch nur die deutschen Ausdrücke bereit stehen, während für Persönliches gern türkische Wörter genutzt werden. Oder der Wechsel signalisiert eine persönliche Beziehung (Solidarität, Vertraut, Intimität ...) mit dem Hörer, der dann seinerseits wechselt. Es kann aber auch sein, dass Sprecher von weiteren Anwesenden nicht verstanden werden wollen und den Wechsel als Kodierung betrachten, d.h. Sprache dient hier dem Ausschluss, der Exklusion.

Eine ausgedehnte internationale Forschung hat zum einen die grammatischen Bedingungen des Wechsels, zum anderen die mit der Gesprächssituation verbundenen Einflussgrößen untersucht. Es ist aber bislang noch nicht recht gelungen, die Bedingungen und Möglichkeiten eines Sprachenwechsels schlüssig zu formulieren. Dafür muss man die Zeitlichkeit der Sprachverarbeitung heranziehen, die linguistisch noch nicht gut bearbeitet ist, zum anderen spielt der kompositionale Aufbau der Äußerung eine wichtige Rolle. Vor allem aber ist das Wissen der Sprecher und Hörer einzubeziehen. Damit allerdings befindet man sich an oder jenseits der Grenze herkömmlicher Grammatikmodelle: Was entsteht denn bei einem satzinternen Sprachenwechsel? Ist dies eine neue Einheit, wie ist sie grammatisch zu fassen? Außerdem wird alles auf eine sorgfältige Analyse von echten Gesprächsdaten und auf einen genauen Vergleich der beteiligten Sprachen ankommen. Immerhin stellt sich das Ergebnis einer Äußerung in zwei Sprachen, in der Kombination  unterschiedlicher Mittel und Regularitäten als Ganzheit einer dritten Art dar, die gleichwohl sehr funktional sein kann. Insofern ist verständlich, dass die Reichweite vorliegender Ansätze  vergleichsweise begrenzt ist und umfassende Erklärungen häufig gar nicht erst angestrebt werden.  

Die funktionale und pragmatische Untersuchung von Özdil 2010 legt nahe, dass Switchen bei türkisch erstsprachigen Kindern und Jugedlichen in Deutschland einem "eigenständigen Sprachmodus" zuzuweisen ist, also nicht unbedingt als Sprachwechsel gelten kann. Ein grundlegender Sprachwechsel beinhaltet die Aufgabe der einen Sprache zugunsten einer anderen, etwa wenn die erste Sprache nach einer Migration für die Kommunikation völlig funktionslos geworden ist (niemand versteht sie), es kommt längerfristig zu einem Sprachverlust.

Literaturhinweis:

P. Auer (Hg.)(1998) Code-Switching in Conversation. London: Routledge
P. Gardner-Chloros (2009) Code-switching. Cambridg: Cambridge University Press
F. Grosjean (2001) The bilingual's language modes. In: J.L. Nicols (ed.) One Mind, Two Languages: Bilingual Language Processing. Oxford: Blackwell, 1-25
M. Heller (Hg.)(1988) Code-Switching. Berlin: Mouton de Gruyter
C. Meyers-Scotton (1993) Duelling. Languages Grammatical Structure in Code-Switchimg. Oxford: University Press
E. Özdil (2010) Code-Switching im zweitsprachlichen Handeln. Münster: Waxmann
S. Poplack (2004) Code-Switching. In: U. Ammon et al. (Hg.) Sociolinguistics. HSK 3.1 Berlin: de Gruyter, 589-596

Cem Özdemir über seine Kindheit (adressiert an Kinder)

 

 

 

 

Beispiel für Code-Switching

 

Sprecher

Erzählzusammenhang: Konflikt nach zerschossener Fensterscheibe
H Als äh da/ eine Mann rauskommte, da läuft denn die,
  die hauen ab.
K1 Dann laufen die fort.
K2 Nee, da/
K3 Da hauen die ab.
K4 die Mücke. Die büchsen kaçıyorlar
                                         [sie flüchten]
H Ja mehr kann au nit/ keine Ahnung ne yapıyorlar
                                                         [was sie machen]
(Kinder mit L1= Türkisch, L2= Deutsch; Spielplatzaufnahme Buss.98.3)