Institut für Deutsche Sprache und Literatur, Universität Dortmund
(früher: Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft,
Universität Bielefeld)
Generierung von Erzählungen in
natürlichen und experimentellen Settings: Interaktion und
Sprachentwicklung (GENESIS)
DFG-Projekt
Laufzeit: 1985-1991
Benutzt wurde ein eigenes Korpus von ca. 240 Gesprächen, innerhalb derer Kinder im Alter von 5, 7, 10 und 14 Jahren erwachsenen Zuhörern in unterschiedlichen Situationen und an drei aufeinanderfolgenden Tagen über den gleichen Vorfall erzählen. Es wurde mithilfe konversationsanalytischer Methoden untersucht, in welcher Weise die beobachtbaren Interaktionsmuster der Erwachsenen-Kind-Dyade für die Entwicklung kindlicher Diskursfähigkeiten konstitutiv sind. Dazu wurde zunächst ein Beschreibungsinstrument entwickelt, das eine systematische Integration entwicklungstheoretischer Fragestellungen in die konversationsanalytische Bearbeitung großer Datenmengen der Erwachsenen-Kind-Interaktion sowie eine Einbeziehung genuin linguistischer Beschreibungen sprachlicher Formaspekte ermöglicht. Dieses Beschreibungsinstrument hat die Form eines Modells, das die Sequentialität der Erzählinteraktion auf drei verschiedenen Ebenen erfaßt. Dabei handelt es sich um
eine Ebene, auf der die globalen diskursstrukturellen Aufgaben bestimmt werden, die immer erfüllt werden müssen, wenn Erzählungen in Gesprächen zustandekommen sollen;
eine Ebene, auf der die Mittel rekonstruiert werden, die Kind und Erwachsener auf unterschiedliche Weise einsetzen, um diese allgemeinen Erzählaufgaben zu erfüllen;
eine Ebene, auf der die sprachlichen Formen beschrieben und diskursfunktional klassifiziert werden, die die jeweils eingesetzten Mittel an der Oberfläche des Diskurses empirisch realisieren.
Mithilfe dieses Modells konnten zum einen Abfolgen in verschiedenen Dimensionen der narrativen Diskursentwicklung der Kinder empirisch rekonstruiert werden, ohne dabei die interaktive Einbindung der kindlichen Aktivitäten in die unterstützenden Zuhöreraktivitäten des Erwachsenen zu vernachlässigen. Zum anderen wurden damit regelhaft verfestigte Muster der Erwachsenen-Kind-Interaktion im Sinne des Zusammenspiels von Erzähler und Zuhörer nachgewiesen. Es stellte sich heraus, daß diese Interaktionsmuster mit dem Alter des beteiligten Kindes systematisch variieren. In einem weiteren Schritt konnte gezeigt werden, daß und vor allem wie diese Muster die Entwicklung der kindlichen Erzählleistungen in den verschiedenen Dimensionen der Diskursentwicklung unterstützen und fördern.
Indem diese musterhaften Abfolgen der wechselseitigen Setzung und Bedienung gesprächsinterner Zugzwänge den Erfolg der Erzählinteraktion zwischen Erwachsenem und Kind sicherstellen, aktivieren sie zugleich die für die Entwicklung der Diskursfähigkeiten maßgeblichen Mechanismen. Die sorgfältige Rekonstruktion der kommunikativen Funktionalität der Muster der Erwachsenen-Kind-Interaktion lieferte somit den Schlüssel zum Einblick auch in die entwicklungsorientierte Funktionalität dieser Muster.
Aufbauend auf diesen empirischen Befunden wurden die aufgefundenen Mechanismen der Diskursentwicklung in explanativer Hinsicht auf allgemeine interaktive Funktionszusammenhänge zurückgeführt. Mit den Projektergebnissen liegt also in Ansätzen eine empirisch rekonstruktive, interaktionstheoretisch fundierte Theorie der Diskursentwicklung vor.