Sprachwissenschaften studieren...
Grund 10:
Gespräche im Alltag:
Schule und Uni,
Krankenhaus,
Gericht,
Therapie,
Sport,
Beratung,
Verkauf,
Kneipe,
Familie ...
erforschen
Über die Jahrhunderte bildeten schriftliche Texte - besonders religiöse oder literarische - den bevorzugten Gegenstand der Sprachwissenschaft. Es ging um Erhalt der Texte und ihr richtiges Verständnis. Schriftfixiert war auch die Grammatiktradition, griechisch gramma war der Buchstabe. Dass Sprache erstmal Sprechen ist, Gespräch, wurde lange vergessen. Kein Wunder, dass alles um den Satz kreiste und Interjektionen (hm, na), Partikeln (Sei bloß still), Exklamative (Bist d u aber groß!), Ellipsen (zwei Bier bitte) und andere Gesprächseinheiten nicht beachtet wurden.
Heute werden die Grammatik des Gesprochenen und die Systematik des Gesprächs erforscht. Die Sprachwissenschaft interessiert sich z.B. dafür, warum man sagen (nicht aber schreiben) kann:
Ich geh nicht ins Kino, weil - ich hab was Besseres vor heute.
Da besteht auch ein Funktionsunterschied zu:
Ich geh nicht ins Kino, weil ich heute was Besseres vorhabe .
Wissen Sie, worin der besteht? Achten Sie mal auf Gesprächspassagen, in denen die Konstruktion vorkommt.
Die Gesprächsforschung (Diskursanalyse) stellt das Handeln mit Sprache ins Zentrum. Wie werden Zwecke sprachlich realisiert? Dazu werden Aufnahmen von Gesprächen im Alltag gemacht, verschriftet und analysiert. Man kann dann herausfinden, wie Sprecher zu Wort kommen, sich unterbrechen, ihre Ziele verfolgen. Wie sie fragen und erzählen, beschreiben und rechtfertigen, drohen und bitten. Bei genauer Betrachtung erscheint das Handeln musterhaft, wir bewegen uns in gesellschaftlichen Mustern, die wir zugleich verändern. Die Zwecke werden erreicht, indem im Hörerwissen etwas verändert wird. Sprache ist so gebaut, dass genau solche Veränderungen möglich werden. Sie ist ein Werkzeug zur Wissensverarbeitung.
Beispiele:
Betrachten wir eine Wegauskunft. Sie liegt als Tonaufnahme wie
als Verschriftung vor. Die Verschriftung zeigt
die zeitliche Abfolge der Gesprächsbeiträge in Form einer Partitur.
Die Fläche stellt die Zeitachse dar. So kann man auch Überschneidungen
abbilden. In der Umschrift sind Interjektionen wie hm mit dem Tonverlauf,
der für sie besonders wichtig ist, notiert. Kurze Pausen sind mit einem
Punkt, längere mit der Angabe der Dauer in Sekunden wiedergegeben. Besondere
Betonungen sind durch Unterstreichung gekennzeichnet, Kommentare wie lachend stehen
unter der Fläche.
Die Kommunikation funktioniert gut, weil nicht nur Sprachwissen
vorausgesetzt werden kann, sondern auch Handlungswissen. Das Wissen darüber,
wie das Muster Wegauskunft verläuft. Es ist komplex, setzt also beispielsweise
das elementare Fragen schon voraus. Dazu gehören bestimmte Teilhandlungen,
auch Möglichkeiten des Verzweigens. Im Kern muss das Wegwissen beim Befragten
- eine mentale Karte - aktualisiert und versprachlicht werden, mit Mitteln
sprachlichen Zeigens (hier, da, dort) und körpergebundener
Orientierung auf einer Bezugsachse (links, rechts), ferner symbolischen
Ausdrücken (die Tankstelle, der Kiosk usw.). So können die
Fragenden eine Vorstellung ausbilden und eine eigene mentale Karte, die es
ihnen erlaubt, den Weg und das Ziel zu finden.Das Muster lässt sich als Ablaufdiagramm darstellen.
Die Beschreibung eines Wegs folgt wie die Beschreibung einer Wohnung bestimmten
Prinzipien, die in der Sprachwissenschaft beschrieben sind.
Gerichtskommunikation interessiert mich persönlich sehr. Daher muss hier auch dazu ein Analysebeispiel kommen.
Hoffmann, Ludger/Nothdurft, Werner (1989) Kommunikation und Kommunikationsprobleme in Institutionen, in: J. Förster/E. Neuland/G. Rupp (eds.), Wozu noch Germanistik? Stuttgart: Metzler, 118-133