Bemerkungen zum Spiegel-Artikel über
die Germanistik (6/2017)
Von Zeit zu Zeit kritisieren Medien die Germanistik bzw.
das Germanistikstudium. Nach dem Germanistentag in Bayreuth
2016 war es die ZEIT, deren Artikel sich las, als seien die Verfasser nicht
vor Ort gewesen - jedenfalls hatte ich als Teilnehmer wie KollegInnen auch
einen völlig anderen Eindruck. Ein vielstimmiger, großer Kongress
lässt sich ohnehin nicht auf einen (zu kritisierenden) Punkt bringen,
wichtig ist, ob er die Forschung in Teilen voranbringt.
Nun kritisiert der Spiegel (Verf.: Martin Doerry) mit dem üblichen
zeitlichen Abstand zur ZEIT in der aktuellen Ausgabe 6/2017 die Germanistik.
Die Studierenden hätten wenig Kenntnis, das Fach nehme an öffentlicher
Diskussion – anders als Historiker wie Winkler, Frevert, Aly – nicht
teil, die Berufsaussichten seien nebulös. Prüft man den Artikel, so
kommt man zu dem Ergebnis, dass er schlecht (nur in Hamburg und Frankfurt) recherchiert
ist, den Stand Ende 80-er/Anfang der 90er Jahre repräsentiert (damals hätte
er auch erscheinen können), die Bachelor- / Master-Diskussion unds überhaupt
die Sprachwissenschaft nicht berücksichtigt, öffentlichkeitswirksame
Aktionen wie die Wahl eines (Un-)Wortes des Jahres und die Sprachkritik bzw.
die Kritik öffentlicher Diskurse, den Sprachlog, mediensprache.net nicht
kennt usw. Kein Wort zur Praxisrelevanz, zu Zahlen des Arbeitsmarkts und
der Lehrereinstellung, zur Arbeit der Linguistik im Bereich der Mehrsprachigkeit
und des Deutschen als Zweitsprache. Das ist sehr schwach und hilft nur
denen, die die Geisteswissenschaften gern abschaffen würden.
Ein Beispiel zum Umgang mit Fakten: Der im Artikel als Vorbild für Öffentlichkeitswirksamkeit
herausgestellte, dem Fach Geschichte zugeordnete Publizist Götz Aly
wurde am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin in Politikwissenschaft habilitiert,wurde
aber dann nicht zum außerord. Professor ernannt ... Jedenfalls kein
leuchtendes Beispiel für die Karriere (im Fach geschichte) eines öffentlichkeitswirksamen
Wissenschaftlers. Man hätte das einfach in Wikipedia nachlesen können.
Schlichte Behauptung bleibt, dass manche Bereiche "überforscht" (so
der Kollege Prof. Koschorke, Konstanz) seien – in der Linguistik
zumindest kann ich das nicht sehen, würde mir eher mehr Forschunbg
in bestimmten Feldern wünschen. Übrigens: die angeführte
Umwidmung von Mittelbau- in Professorenstellen war lokal (Hamburg z. B.)
ist über dreißig Jahre
her, ihre Ergebnisse sind längst durch Kürzungen nicht mehr sichtbar.
Geschenkt: dass Studienanfänger verwirrt sind, nicht genau wissen,
was aus ihnen werden soll. Richtig ist, dass viele einen Job finden (nicht
selten außerhalb
der Schule), leider auch, dass viele Anfänger Defizite in der Orthographie
haben, die sie allerdings aus den Schulen mitbringen. Was soll man aus
dem Potpourri ableiten? Mit Anekdoten und Einzelmeinungen lässt sich
ein Fach nicht beurteilen, dafür müsste man sehr gründlich
recherchieren. Das aber kostet Zeit. Bis dahin mal ein Artikel über
das Rechercheverhalten gegenwärtiger
Journalisten?
Dazu auch der Literaturwissenschaftler Steffen Martus, FAZ und
Klaus Kastberger, ZEIT |