Die
Funktionale Pragmatik ist eine handlungsbezogene
Sprachauffassung. Sie entstand in den 70er Jahren – begründet
durch Konrad Ehlich und Jochen Rehbein – mit
Institutionsanalysen und einer Theorie sprachlicher Handlungsmuster, in
der die Kategorie Zweck zentral stand. Zweck-Mittelverhältnisse
wurden auch elementar im Bereich kleinster funktionaler
Einheiten, den Prozeduren (Ehlich), aufgesucht . Den Rahmen bildet
ein kooperativer Austausch zwischen Sprechern und Hörern. Der Ansatz
verband sich mit eine Analyse der involvierten Wissensstrukturen, wie sie
die Konversationsanalyse (etwa in der Schegloff-Version) ausschloss.
Im Rahmen der Funktionalen Pragmatik bot der
Anschluss an die Felderlehre Bühlers (Ehlich 2007a) die Möglichkeit,
eine funktionale Grammatik für Einzelsprachen und den Sprachvergleich
zu formulieren (Hoffmann 2003, 2021⁴). Die Analyse bezog systematisch
Hörer,
mentale und Verstehensprozesse ein, die auch die grammatische Perspektive
bestimmten. Ihre Perspektive war eine interaktionale, die zugleich die
Bestimmtheit durch institutionelle Bedingungen (Schule, Medizin und Therapie,
Gericht, Politik etc.) systematisch berücksichtigte.
Sprachtheoretisch
wird in der Funktionalen Pragmatik unterschieden zwischen
• der sprachlich
fassbaren Wirklichkeit und der externen Realität (latein. res ‚Ding,
Sache, Ereignis‘ im allgemeinen Sinn): der Bereich P;
• den mentalen
Prozessen, Verarbeitungsweisen und Zuständen (Gedanken, Verstehen,
Bewerten, Erinnern, Planen, Wissen über Sprache, Emotionen etc.),
die den sprachlichen Austausch der Aktanten fundieren: der mentale Bereich Π (vgl.
Rehbein 2017);
• dem Prozess der Formulierung (als Formgebung) von Äußerungen
mit den sprachlich-grammatischen Mitteln der Einzelsprachen: der Äußerungsbereich
p.
Interaktanten bewegen sich in einem in seiner Grundstruktur gesellschaftlich,
in einer kommunikativen Welt gegebenen Handlungsmuster, solange sie den
ihm inhärenten Zweck faktisch realisieren wollen, etwa wenn es gilt,
ein Wissensdefizit mit Frage und Antwort und unter Ausgleich der Wissensbestände
von Sprecher und Hörer interaktiv zu beheben.
Jedem Muster entspricht ein Musterwissen, das früh erworben und
in der Kommunikation angewendet wird. Sprecher wissen, was sie tun, d.
h. welche Zwecke ihr Handeln in der laufenden Kooperation realisieren
soll und welche Erwartungen ein Muster ihrem Handeln auferlegt. Institutionell
erfährt das Musterwissen eine entsprechende Ausdifferenzierung (Wissen
professionell Handelnder gegenüber Laienwissen). Muster setzen an
einer Konstellation als einem Möglichkeitsraum (Beteiligte, Erwartungen,
Vorgeschichte, Anschlussmöglichkeiten etc.) an. Es sind keine starren
Größen, sie werden mit bestimmten Charakteristika (z. B. Interrogativum,
steigende Tonhöhe, Exklamativakzent etc.) realisiert. Sie folgen
im Aufbau keinem starren Schema, das komplett immer in der gleichen Folge
erscheinen müsste, sie werden öfter auch nur angedeutet. Ein
Diskursmuster ist eine komplexere Einheit des Diskurses, in der sprachliche
Handlungen verkettet sind (ohne Sprecherwechsel) oder sequentiell alternieren
(mit Sprecherwechsel) (vgl. Ehlich 2007a, S. 37).
Der Diskurs ist durch
gemeinsame Anwesenheit, geteilte Wahrnehmung und Mündlichkeit gekennzeichnet
ist, Bedingungen, die sich auch auf die Verwendung sprachlicher Mittel
und damit die Grammatik auswirken (Hoffmann 2018). Gegenstück zum
Diskursmuster ist das Textmuster als komplexe textuelle Einheit, in der
sprachliche Handlungen verkettet sind.
Texte sind Äußerungen, die aus der Sprechsituation
abgelöst sind und durch ihre Repräsentation mit einem Träger,
der zur Dauerhaftigkeit beiträgt, Überlieferungsqualität
und Überbrückung von Zeit und Raum bieten (vgl. Ehlich 2007b,
S. 483-621, Zifonun/Hoffmann/Strecker 1997, S. 249ff.). Überliefert
wird der Text in fester Formgestalt, die außerhalb der Entstehungskonstellation
rezipiert und verstanden werden muss, was sprachliche Explizitheit (Orientierung
am Standard) und Komplexität (komplexe Sätze und Einbettungen,
appositive Konstruktionen etc.) voraussetzt, während Implizitheit,
Ellipse bzw. Empraxis zurückgedrängt sind.
Literatur
Ehlich,
Konrad (Hg.): Sprache und sprachliches Handeln. Bd. 1-3. Berlin 2007
Ehlich, Konrad: Funktionale Pragmatik – Terme, Themen und Methoden.
In: Konrad Ehlich (Hg.): Sprache und sprachliches Handeln. Bd. 1. Berlin
2007a, 29-52.
Ehlich, Konrad: Alltägliches Erzählen. In: Konrad
Ehlich (Hg.): Sprache und sprachliches Handeln. Bd. 3. Berlin 2007b,
S. 371-395.
Ehlich, Konrad/Rehbein, Jochen: Halbinterpretative Arbeitstranskriptionen
(HIAT). In: Linguistische Berichte 45, 1976, 21-41.
Ehlich, Konrad/Rehbein,
Jochen: (1980) Kommunikation in Institutionen. In: Hans-Peter Althaus/Helmut
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Bd. II. Tübingen 1980, S. 338-346
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Hoffmann, Ludger/Gabriele Graefen
(2010) Pragmatik. In: H.J. Krumm/Chr. Fandrych/B. Hufeisen/C. Riemer
(Hg.) (2010) Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. HSK 35.1. Berlin/New
York: de Gruyter, 255-265
Hoffmann, Ludger: Kommunikative
Welten: das Potenzial menschlicher Sprache. In: Ludger Hoffmann/Kerstin
Leimbrink/Uta Quasthoff (Hg.): Die Matrix der menschlichen Entwicklung.
Berlin/Boston 2011, S. 165-210
Hoffmann, Ludger (Hg.) Sprachwissenschaft. Ein Reader. Berlin/Boston 2019⁴
Hoffmann, Ludger: Deutsche Grammatik.
Grundlagen für Lehrerausbildung, Schule,
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Hoffmann, Ludger: Grammatik und gesprochene Sprache im Diskurs.
In: Arno Deppermann/Silke Reineke (Hg.)(2018) Sprache im kommunikativen,
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Redder, Angelika: Grammatiktheorie und sprachliches
Handeln, Tübingen 1990
Redder, Angelika (Hg.): Diskursanalysen
in praktischer Absicht. OBST 49, 1994
Rehbein, Jochen:
Komplexes Handeln. Stuttgart 1977 Rehbein, Jochen: Biographisches Erzählen.
In: Eberhard Lämmert (Hg.) Erzählforschung. Ein Symposion.
Stuttgart 1982, S. 51-74.
Rehbein, Jochen: Zum Verhältnis von Grammatik
und P-Bereich. In: Yüksel Ekinci/Elke Montanari/Lirim Selmani (Hg.):
Grammatik und Variation. Heidelberg 2017, S. 13-37.
Zifonun, Gisela/Hoffmann,
Ludger/Strecker, Bruno et al.: Grammatik der deutschen Sprache. Berlin/New
York 1997.
Transkriptbände
Redder,
Angelika (Hg.)(1982) Schulstunden I. Transkripte. Tübingen 1982
Redder,
Angelika/Ehlich, Konrad (Hg.): Gesprochene Sprache, Tübingen
1994
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