Fragestellung und Ziele

Was ist der Mensch? Kultur - Sprache - Natur bezeichnet eine von der Universität Dortmund und dem Kulturwissenschaftlichen Institut Essen gemeinsam getragene Interdisziplinäre Forschungsgruppe, die sich mit der Deutung des Menschen im 21. Jahrhundert befasst. In jüngster Zeit erheben die empirisch erfolgreichen Natur- und Biowissenschaften zunehmend den Anspruch auf eine exklusive Deutung des Menschen, die das tradierte Selbstverständnis der Geistes- und Kulturwissenschaften radikal problematisiert. Soweit neue Sichtweisen polarisieren, stehen sie einem produktiven Dialog zwischen Kultur- und Naturwissenschaften und damit einer echten Weiterentwicklung wissenschaftlicher Erklärungsansätze im Wege. Daher geht die Interdisziplinäre Forschungsgruppe davon aus, dass Deutungsmonopole einzelner Wissenschaften (ob natur- oder kulturwissenschaftlicher Provenienz) den Anforderungen des gegenwärtigen interdisziplinären Forschungskontextes nicht entsprechen können. Angesichts der Fülle an fundierten Erkenntnissen und Einsichten über den Menschen, wie sie von unterschiedlichen Disziplinen und Zugängen bereit gestellt werden, liegt die besondere Herausforderung darin, oberflächliche Populärsynthesen ebenso zu vermeiden wie skeptische Resignation vor der Aufgabe, die Modellbildung nicht über Gebühr zu reduzieren.

Ziel der Forschungsgruppe ist es also, jenseits tradierter Dichotomien in konkreten, fachübergreifenden Forschungsprojekten zu neuen, integrativen Beschreibungs- und Erklärungsmodellen des Menschen beizutragen. Im Fokus des Interesses werden dabei sprachliche, soziale und personale Entwicklungsprozesse des Menschen in ihrer biologischen und kulturellen Bedingtheit stehen.

Um sich der komplexen Frage ‚Was ist der Mensch?' zu nähern, zeichnen zahlreiche Forschungsansätze und -strategien nur einen einzigen Aspekt des Menschen aus und erklären ihn für wesentlich. So kommt man zu umfassenden Deutungen, die allein die kulturelle Bedingtheit oder die biologische Ausstattung zum Bestimmungsmerkmal des Menschen erheben und in separat voneinander entwickelten Bereichen mit je eigener Ausrichtung thematisieren. Die Bestimmung des Menschen aus der Perspektive der Einzeldisziplinen verkennt jedoch die wechselseitigen Beziehungen zwischen Kultur, Sprache und Natur auf einer fundamentalen Ebene. So wie das dem Menschen eigene kulturelle Gefüge seine sprachliche und biologische Ausstattung voraussetzt, ist auch die menschliche Sprache auf sozio-kulturelle und biologische Voraussetzungen angewiesen. Sprache und sprachliche Verständigung in ihrer biologischen und zugleich kulturellen Bedingtheit geben damit ein wichtiges Feld zur Untersuchung der leitenden Fragestellung ab. Der Blick auf die Ontogenese eröffnet die Möglichkeit, das Zusammenspiel zwischen biologisch gegebenen Dispositionen und kulturell Gelerntem zu rekonstruieren. Die wechselseitige Bedingtheit von Kultur, Sprache und Natur lässt sich also anhand der typisch menschlichen Entwicklungsprozesse, der typisch menschlichen Sprachfähigkeit und der typisch menschlichen sozialen Interaktionen fokussieren. Entwicklung, Sprache und soziale Interaktion fungieren in diesem Ansatz als Schlüsselbegriffe. Sie werden von den unterschiedlichen Forschungsansätzen und -strategien unterschiedlich verwendet. Diese Unterschiedlichkeit stellt eine besondere Herausforderung für die Forschungsgruppe dar. Zu ihrer Klärung bedarf es einer reflektierten interdisziplinären Kooperation, in der Vertreter(innen) verschiedener kultur- und naturwissenschaftlicher Disziplinen an ausgewählten Fragestellungen gemeinsam arbeiten.

Die Forschungsgruppe thematisiert die Beziehungen zwischen sozialer Interaktion, Sprachfähigkeit und Entwicklungsphasen in ausgewählten Themenbereichen unter kooperativer Nutzung unterschiedlicher Expertisen. Durch eine fortschreitende Vernetzung der Themenbereiche und Theoriebildungsprozesse sollen neuartige Fragestellungen im Umfeld von Kultur, Sprache und Natur erschlossen werden. Letztlich wird ein Beitrag zur Fundierung einer neuen interdisziplinären Anthropologie angestrebt.

Diesem Ziel entsprechend werden die Schlüsselbegriffe exemplarisch in Projektbereichen untersucht:

Das Promotionskolleg  soll seinen Mitgliedern eine auf zentrale Themenfelder fokussierte, gründliche Auseinandersetzung mit Einzelfragen des Forschungsfeldes unter Berücksichtigung der jeweils relevanten wissenschaftstheoretischen Aspekte ermöglichen. Durch die personelle und institutionelle Zusammenführung interdisziplinärer Kompetenzen sollen die Doktorand(inn)en eine interdisziplinäre Kompetenz in thematischer und methodischer Hinsicht erwerben, um für künftige Diskurse der wissenschaftlichen Theoriebildung optimal gerüstet zu sein.

Die Forschungsgruppe: Was ist der Mensch? Kultur - Sprache - Natur will mit ihrem Forschungsprogramm auch einen wesentlichen Beitrag zur Wissenschaftsdiskussion in der Öffentlichkeit leisten. Dabei soll die Forschungsarbeit nicht nur über die bereits vorhandenen Darstellungsformen des Kulturwissenschaftlichen Institutes Essen und der Universität Dortmund (Vortragsreihen, Forschungstage der Universität Dortmund etc.) an die Öffentlichkeit vermittelt werden, sondern auch über den Kontakt mit Schulen, Studienseminaren und Medien. Ferner sind Kooperationen mit den BA/MA-Studiengängen Angewandte Sprachwissenschaften und Angewandte Literatur-/Kulturwissenschaften sowie dem neuen Studiengang Wissenschaftsjournalismus an der Universität Dortmund geplant.