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Schreiben zwischen Sprachen und Kulturen:
Ressource und Hemmnis der Integration

Literacy between Languages and Cultures:
Resource and Obstacle to Integration
Flagge (summary / english version)

Studiengruppe zu Migration und Integration, Schwerpunkt: Struktur und Wandel von Sprache

gefördert von der Volkswagen-Stiftung

Beginn: 11/2007

Projektleitung:

Prof. Dr. Ludger Hoffmann / Prof. Dr. Uta M. Quasthoff (Sprecherin), Institut für deutsche Sprache und Literatur, Prof. Dr. Dr. Michael Kastner Institut für Psychologie

Mitarbeiter/innen: Dr. Annette Herkenrath / Nicole Hinrichs / Nils Kremeskötter/ Sören Ohlhus

 

Kurzbeschreibung

Ziele der interdisziplinären Untersuchung:

    • Rekonstruktion von Ausgrenzungs- und Integrationsprozessen in der Erfahrung von Migrantinnen und Migranten sowie prekär integrierten Deutschen aus drei Generationen
    • Analyse von Zugängen zur Schriftlichkeit
    • Konzepte gegen Desintegration
      (Entwicklung spezifischer Angebote / Behördenunterstützung)

Ein globales Ziel des Projekts liegt darin, Konzepte gesellschaftlichen Zusammenlebens zu begründen, die über Appelle an Toleranz und gegenseitiges Verständnis hinausgehen, indem sie auf der Analyse der Ursachen gesellschaftlicher Segregation aufbauen und diese in institutionelle Maßnahmen umsetzen. Ein wesentlicher Aspekt dieser Ursachen wird in der Rolle von Schriftlichkeit und Mündlichkeit bei der Bildung von Identität in ausgrenzenden oder gruppenbildenden Interaktionen und generationstranszendenten Orientierungen gesehen.

Das Projekt macht im Rahmen linguistischer und psychologischer Methoden die subjektiven Erfahrungen und Identitäten zum Gegenstand von MigrantInnen und Deutschen aus drei Generationen und fokussiert dabei auf die Wahrnehmung von Schreibkompetenz als Barriere oder Motor der Integration. Insbesondere bei den älteren Betroffenen interessiert die Frage, wie die Zielvorstellungen hinsichtlich der gesellschaftlichen Teilhabe für die nachfolgenden Generationen aussehen und welche Entscheidungen getroffen werden, um diese Ziele umzusetzen.

Mangelnde Schreibfähigkeiten – i.S. der Fähigkeit Texte zu produzieren und formellen Anforderungen in Formularen zu genügen – sind als besondere Barriere für die Teilhabe an der deutschen Mehrheitsgesellschaft bisher noch wenig untersucht. Schreibfähigkeiten werden als selbstverständlich für eine schriftgeprägte Gesellschaft angesehen, so dass fehlender Zugang als identitätsbedrohend erscheinen kann. Für Migrantinnen und Migranten ist der Erwerb der Schreibfähigkeiten zudem dadurch erschwert, dass er in der Zweitsprache Deutsch erfolgen muss. Oft ist bei MigrantInnen und bei bildungsfernen Einsprachigen bereits die Fähigkeit, sich mündlich im Gespräch auszudrücken, und die für das Schreiben nötige sprachliche Bewusstsheit mehr oder weniger stark begrenzt. Damit fehlen wesentliche Voraussetzungen zum Erwerb angemessener Schriftlichkeit. Manch einer nimmt die Schriftsprache, die eine zentrale Rolle in Institutionen (Arbeitsvermittlung, Bildungsbereich, Sozialamt etc.) spielt, unter Umständen gar als bedrohlich wahr oder hat sich an die Unterstützung durch „Vermittler“ gewöhnt. Öfter fehlt einfach die Motivation, die Mühen des Schrifterwerbs auf sich zu nehmen, weil nicht klar ist, was dadurch zu gewinnen ist.

Wer mit schriftlicher Sprache nicht hinreichend umgehen kann, läuft Gefahr, von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen zu bleiben und elementare Interessen nicht durchsetzen zu können.
Migrationsbiographie und Mehrsprachigkeit sind hierfür nicht die einzigen Gründe. Mangelnde Bildungsvoraussetzungen mit der Folge eingeschränkter (schrift)sprachlicher Kompetenzen und eine daraus resultierende Selbstwahrnehmung am Rande der Gesellschaft sind weitere wesentliche Faktoren, die sich auch bei Einsprachigen zeigen können. Die Studiengruppe untersucht unterschiedliche Zugänge zur mündlichen und schriftlichen Sprachkompetenz.

Der innovative Charakter des Vorhabens liegt darin, dass schriftsprachliche Kompetenzen von MigrantInnen und deutschen Einsprachigen aus bildungsfernen Milieus interdisziplinär untersucht werden im Zusammenhang mit

    • mündlichen und schriftlichen Diskurskompetenzen,
    • Identitäts- und Gruppenbildungsprozessen über drei Genererationen,
    • Motivation und Volition für Veränderungen des eigenen Lebensentwurfs – auch bezogen auf nachfolgende Generationen,
    • Maßnahmen von Behörden und Anbietern von Qualifikationsmaßnahmen

Durch den Vergleich mit Deutschen aus benachteiligten Milieus kann überprüft werden, inwieweit die Mehrsprachigkeit und die Migrationsbiographie tatsächliche Erklärungskraft für die mangelnde gesellschaftliche Partizipation haben. Durch die Untersuchung von 60-, 40- und 20-Jährigen wird Integration bzw. die Situierung am Rande der Gesellschaft als generationenübergreifender Prozess rekonstruierbar.

Die Gruppe will aus Fragebogenerhebungen und Interviews Empfehlungen ableiten, wie sowohl die Bildungsangebote als auch das Umfeld gestaltet werden müssen, damit Zuwanderer bessere Zugänge zur Schrift finden können. Am Ende des Projekts wissen wir also u.a. mehr darüber, was MigrantInnen und Deutsche aus manchen Milieus davon abhält, sich schriftlich zu äußern, wie Kurse für MigrantInnen aussehen sollten, die wirklich angenommen werden,  wie Behördenvertreter kommunizieren müssen, damit sie von Migranten und Nicht-Miranten  verstanden werden.